Leitsatz (amtlich)
1. Der Stromversorger darf den aufgrund der Manipulation nicht erfassten Stromverbrauch entsprechend § 18 StromGVV schätzen.
2. Eine Beweisantizipation ist im Verfahren der Prozesskostenhilfe nur unter engen Voraussetzungen zulässig.
3. Als allgemeinkundig können solche Tatsachen berücksichtigt werden, die als Ergebnis einer Internetrecherche des Gerichts ermittelt wurden (Fortführung von OLG Köln, Beschluss vom 25. Mai 2016 - 1 W 6/16, MDR 2016, 1266).
Normenkette
StromGVV § 18; ZPO § 114 Abs. 1-2, § 291
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 12 O 168/19) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 29. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Parteien waren bis zum 31. März 2019 durch einen Stromversorgungsvertrag für das im Eigentum der Beklagten befindliche und mit einem Einfamilienhaus bebaute Hausgrundstück A 25 in B verbunden. Die Beklagte war hierbei Anschlussinhaberin und -nutzerin im Sinne von § 1 NAV. Im Keller des Hauses betrieb der Bruder der Beklagten jedenfalls in der Zeit vom 18. Januar 2018 bis 18. Juli 2018 eine Marihuana-Plantage. Ein Außendienstmitarbeiter der Klägerin stellte am 18. September 2018 fest, dass die Sicherheitsplombierung am Hausanschlusskasten entfernt war. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gestand der Bruder der Beklagten nicht nur den unerlaubten Betrieb der genannten Plantage, sondern überdies auch die Umgehung des Stromzählers. Auf Grundlage der im Keller der Beklagten unter anderem vorgefundenen 18 Vorschaltgeräte mit 6,2 A Dampfhochdrucklampen, einem ebenfalls vorgefundenen Ventilator und zwei Hochleistungsstromlüfter hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Nachforderungsbetrag in Höhe von insgesamt 12.481,57 EUR geltend gemacht und zwar 5.726,20 EUR aus der Nachberechnung des entnommenen Stroms, 6.755,37 EUR als hierfür geltend gemachte Vertragsstrafe und weiterer 2.981,25 EUR aus einer Rechnung wegen des Bezuges einer tatsächlich gemessenen Strommenge. Letztere Forderung hat die Beklagte anerkannt, für die Abwehr der übrigen Ansprüche hat sie indes die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Letzteres hat das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung abgelehnt mit der Begründung, die beabsichtigte Rechtsverteidigung biete keine hinreichende Erfolgsaussichten, weil das Bestreiten unsubstantiiert und damit unzureichend sei, so dass der Vortrag der Klägerin als zugestanden zu werten sei. Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 3. März 2020, welcher das Landgericht mit Beschluss vom 18. Mai 2020 nicht abgeholfen hat.
II. Die gem. § 127 Abs. 1 Satz 2, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die landgerichtliche Entscheidung im Ergebnis zutreffend ist. Die beabsichtigte Rechtsverteidigung der Beklagten ist auf Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes mutwillig (§ 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Im Rahmen einer Beweisaufnahme würde die Beklagte mit großer Wahrscheinlichkeit unterliegen.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte gerichtete Ansprüche auf Zahlung entnommenen Stroms sowie auf Zahlung einer Vertragsstrafe schlüssig vorgetragen.
a) Hiernach folgt der Anspruch auf Zahlung des entnommenen Stroms in Höhe von 5.726,20 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB i.V.m. § 18 StromGVV. Der Stromlieferungsvertrag ist ein Kaufvertrag in Form eines Sukzessivlieferungsvertrages, der gemäß § 433 Abs. 2 BGB zur Kaufpreiszahlung verpflichtet unabhängig davon, ob der Verbrauch messtechnisch richtig erfasst ist und/oder der Kunde den Strom vertragsgemäß zahlen will (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. September 1997 - 22 U 46/97, NJW-RR 1998, 490, zitiert juris Rn. 5; OLG Rostock, Beschluss vom 9. Dezember 2008 - 1 U 18/08, OLGR 2009, 273, zitiert juris Rn. 7; OLG Hamm, Urteil vom 7. Dezember 2012 - 19 U 69/11, RdE 2013, 243, zitiert juris Rn. 21; jeweils mwN).
aa) Da der Stromzähler nach dem Vortrag der Klägerin im Streitfall umgangen wurde, hat diese den Verbrauch der Anschlussstelle der Beklagten mit Recht für die Zeit vom 18. Januar 2018 bis 18. Juli 2018 gemäß § 18 Abs. 1 StromGVV geschätzt. Ergibt eine Prüfung der Messeinrichtungen eine Überschreitung der Verkehrsfehlergrenzen oder werden Fehler in der Ermittlung des Rechnungsbetrages festgestellt, so ist nach Satz 1 und 2 der genannten Bestimmung die Überzahlung vom Grundversorger zurückzuzahlen oder der Fehlbetrag vom Kunden nachzuentrichten, wobei der Grundversorger den Verbrauch für die Zeit seit der letzten fehlerfreien Ablesung aus dem Durchschnittsverbrauch des ihr vorhergehenden und des der Feststellung des Fehlers nachfolgenden Ablesezeitraums oder auf Grund des vorjährigen Verbrauchs durch Schätzung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse ermittelt, wenn die Größe des Fehlers nicht einwandfrei festzustellen ist oder eine Messeinrichtung nicht anzeigt. Bei Berechnungsfehler...