Leitsatz (amtlich)
Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den antragstellenden Elternteil gem. § 1671 Abs. 1 BGB kommt grundsätzlich nicht in Betracht, wenn trotz geringer Kommunikation zwischen den Eltern die Einigung in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind möglich und unüberbrückbare Streitigkeiten in Alltagsfragen nicht erkennbar sind.
Normenkette
BGB § 1671
Verfahrensgang
AG Bonn (Aktenzeichen 41 F 354/01) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Antrag der Antragstellerin, ihr unter Aufhebung der gemeinsamen Sorgeberechtigung mit dem Antragsgegner das Sorgerecht für den Sohn H.W., geboren am … 1999, allein zu übertragen, wird abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die gem. § 621e Abs. 1, § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO – die hier nach § 26 Nr. 10 EGZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung Anwendung finden, weil die angefochtene Entscheidung entspr. der richterlichen Verfügung vom 13.12.2001 (Bl. 75R d.A.) vor dem 1.1.2002 der Geschäftsstelle übergeben worden ist – statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insb. fristgerecht (§ 621e Abs. 3, § 516 ZPO a.F.) eingelegt worden. Die Beschwerdeschrift vom 11.1.2002 ist ausweislich der Datumsangaben in den Fax-Kennungen noch am selben Tage mittels Telefax sowohl beim AG (Bl. 82 d.A.) als auch beim OLG (Bl. 84 d.A.) eingegangen. Sie ist damit vor Ablauf der an diesem Tage endenden einmonatigen Beschwerdefrist jedenfalls auch bei dem Beschwerdegericht (vgl. § 621e Abs. 3 S. 1 ZPO) eingereicht worden.
Das Rechtsmittel des Antragsgegners ist auch begründet. Nach den maßgeblichen Vorschriften des deutschen Sachrechts, die das AG mit Rücksicht auf Art. 21 EGBGB zu Recht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, kann nicht festgestellt werden, dass die Alleinsorge der Antragstellerin dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Die gemeinsame Sorge beider Elternteile ist daher jedenfalls derzeit beizubehalten. Der gegenteiligen Beurteilung des AG, die sich in wenigen eher floskelhaften Sätzen erschöpft, vermag der Senat weder inhaltlich noch im Ergebnis zu folgen.
Leben Eltern, denen – wie hier aufgrund entsprechender Sorgeerklärungen (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) – die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann gem. § 1671 Abs. 1 BGB jeder Elternteil beantragen, dass ihm das FamG die elterliche Sorge oder einen Teil davon allein überträgt. Dem Antrag ist unter anderem dann stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Insoweit geht der Senat, der Rspr. des BGH (vgl. BGH FamRZ 1999, 1646 [1647]) folgend, davon aus, dass die Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge in § 1671 BGB durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz kein Regel- Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne enthält, dass eine Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht kommt (vgl. BT-Drucks. 13/4899, 63 [99]; Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl., § 1671 Rz. 34). Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist. Einer solchen Regelung stünde bereits entgegen, dass sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lässt. Wenn sich die Eltern bei Fortbestehen der gemeinsamen Sorge fortwährend über die das Kind betreffenden Angelegenheiten streiten, kann dies zu Belastungen führen, die mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar sind. In solchen Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht „funktioniert” und es den Eltern nicht gelingt, zu Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, ist der Alleinsorge eines Elternteils der Vorzug zu geben. Die alleinige elterliche Sorge kann danach schon deshalb nicht nur als „Ausnahmeregelung” oder sogar als „ultima ratio” behandelt werden, weil sie diejenige Sorgerechtsform ist, die – bei Uneinigkeit der Eltern – nach dem Maßstab des Kindeswohls gerichtlich bestimmt wird; nach dem Wohl des Kindes hat sich die elterliche Sorge aber insgesamt auszurichten (vgl. BGH FamRZ 1999, 1646 [1647]).
Nach diesen Grundsätzen kommt vorliegend die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht in Betracht:
Die Übertragung des Sorgerechts allein auf die Antragstellerin ist zunächst nicht schon durch die – erhebliche – räumliche Entfernung zwischen den Wohnsitzen beider Elternteile gerechtfertigt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt OLG Naumburg FamRZ 2002, 564 [565]; OLG Hamm v. 13.9.2001 – 3 UF 500/00, FamRZ 2002, 565 [566]; Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1571 Rz. 17 m.w.N.). Denn gem. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB hat die Antragstellerin als der Elternteil, bei dem H. sich mit Einwilligung des Antragsgeg...