Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbständiges Beweisverfahren bei Rechtsstreit im Ausland

 

Leitsatz (amtlich)

Ist bereits vor einem ausländischen (hier: belgischen) Gericht ein Rechtsstreit über die Berechtigung eines Zahnarzthonorars und über das Vorliegen zahnärztlicher Behandlungsfehler rechtshängig, so ist ein selbständiges Beweisverfahren im Inland unzulässig.

 

Normenkette

ZPO § 485; EuGVVO Art. 27

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Beschluss vom 17.01.2011; Aktenzeichen 11 OH 4/10)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des LG Aachen vom 17.1.2011 - 11 OH 4/10 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

 

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das LG den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zur Beurteilung der vom Antragsgegner durchgeführten Implantatbehandlung zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für ein selbständiges Beweisverfahren liegen nicht vor.

Die Voraussetzungen für die Durchführung eines Beweisverfahrens gem. § 485 Abs. 1 ZPO sind unzweifelhaft nicht gegeben.

Auch für ein selbständiges Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO fehlt das erforderliche rechtliche Interesse. Das - ausschließlich vorprozessual zulässige (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 485 Rz. 6) - Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO soll dazu dienen, die aus der Rechtslage herzuleitende Möglichkeit eines Hauptsacheprozesses durch das selbständige Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO entbehrlich zu machen. Daraus resultiert - wie in § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausdrücklich erwähnt - das rechtliche Interesse an der Durchführung des Beweisverfahrens. Im Umkehrschluss dazu fehlt folglich das rechtliche Interesse i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich immer dann, wenn ein zivilprozessualer Rechtsstreit gar nicht erst entstehen kann (vgl. OLG Celle NJW-RR 2000, 110; Thomas/Putzo, 31. Aufl. 2010, § 485 Rz. 7a) oder bereits anhängig ist (vgl. § 485 Abs. 3 ZPO). Beides ist vorliegend gegeben.

Die von der Antragstellerin beantragten Feststellungen vor einem deutschen Gericht können einen Rechtsstreit nicht vermeiden. Ein solcher Rechtsstreit ist in Deutschland gem. Art. 27 EuGVVO nicht zulässig, weil die Antragstellerin bereits vor einem belgischen Gericht gegenüber der vom Antragsgegner gegen sie erhobenen Honorarklage im Wege der Widerklage aus der auch hier streitgegenständlichen Behandlung wegen behaupteter Behandlungsfehler Schadensersatzansprüche für die Erneuerung der Implantate und Kronenkonstruktion geltend macht. Das Friedensgericht des Kantons F. hatte der Klage stattgegeben und die Widerklage für zulässig erklärt und zur Fragen etwaiger Behandlungsfehler und dadurch verursachter Kosten und Wiedergutmachungsmaßnahmen die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Der Rechtsstreit ist nunmehr im Berufungsverfahren bei dem Gericht Erster Instanz F. anhängig, das ebenfalls eine sachverständige Begutachtung zu den genannten Fragen angeordnet hat. Eine dem selbständigen Beweisverfahren - möglicherweise - folgende Klage der Antragstellerin vor einem deutschen Gericht hätte also im Wesentlichen den gleichen Streitgegenstand ("derselbe Anspruch", vgl. Münchener Kommentar - Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 27 EuGVO Rz. 7) wie die derzeit anhängige Widerklage der Antragstellerin vor dem belgischen Gericht. Eine Klage vor einem deutschen Gericht müsste damit nach Feststellung der Zuständigkeit des belgischen Gerichts, gegen die hier keine Bedenken bestehen, als unzulässig abgewiesen werden, Art. 27 EuGVVO. Darüber hinaus ist das beantragte Beweissicherungsverfahren gem. § 485 Abs. 3 ZPO unzulässig, weil bereits eine Begutachtung gerichtlich angeordnet wurde. Die Vorschrift setzt eine gerichtlich bereits angeordnete Begutachtung zum gleichen Beweisthema voraus, was sowohl im Rechtsstreit wie in einem früheren oder im jetzigen Verfahren nach § 485 Abs. 1 bzw. Abs. 2 erfolgt sein kann. Sie bestimmt für diese Fälle, dass eine neue Begutachtung nur unter den Voraussetzungen des § 412 erfolgen darf. Zweck ist es, die Einholung mehrerer, unter Umständen sich widersprechender Gutachten zu verhindern (Musielak, ZPO, 8. Aufl. 2011, § 485 Rz. 15). In Verbindung mit der Vorschrift des Art. 27 EuGVVO steht damit die in dem Verfahren in Belgien angeordnete Beweiserhebung der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens entgegen.

Schließlich führt auch der Einwand der Antragstellerin, nur das Beweisverfahren in Deutschland ermögliche den Sinn und Zweck einer alsbaldigen Beweissicherung, nicht zu einer anderen, der Antragstellerin günstigeren Beurteilung. Das LG hat bereits zutreffend festgestellt, dass es insoweit entscheidend darauf ankomme, dass die Durchführung des Beweisverfahrens nutzlos wäre, d.h. ins Leere liefe, weil ein sich daran anschließender Prozess gem. Art. 27 EuGVVO unzulässig wäre. Die Gerichte in Belg...

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