Leitsatz (amtlich)
1. Ein selbstständiges Beweisverfahren gem. § 485 ZPO ist ein aus dem verfahrensmäßigen Zusammenhang des Hauptsacheverfahrens herausgelöstes (quasi "vorgezogenes") reguläres Beweisverfahren, dem darüber hinaus nach der gesetzlichen Ausgestaltung wie nach dem Willen des Gesetzgebers keine weitere Bedeutung zukommen soll, insbesondere nicht die eines "Hauptsacheverfahrens light".
2. Es besteht richterliches Ermessen, ob im Arzthaftungsbeweisverfahren eine Urkundsbeiziehung erfolgt. Die Ablehnung einer Anordnung gem. § 142 ZPO kann jedoch auch dann nicht mit der sofortigen Beschwerde gem. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO angefochten werden, wenn die Vorlage einer Datenauskunft gem. Art. 15 Abs. 3 DS-GVO begehrt wird. Wenn der Anregung oder Bitte, eine den Beweisbeschluss betreffende Anordnung nach § 142 ZPO zu treffen, durch das Gericht nicht entsprochen wird und diese Entscheidung einer separaten Beschwerde entzogen ist, so gilt dies für jede denkbare Anordnung (Anforderung von Urkunden, Behandlungsunterlagen oder Datenauskünften).
3. Die Ablehnung der Beiziehung einer Datenauskunft verletzt die Antragstellerin daher nicht in ihren Grundrechten auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG), rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 2 GG), den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) oder Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wenn es nur um die Verfahrensweise im Rahmen eines speziellen zivilgerichtlichen Verfahrens geht.
4. Eine Instanzengarantie im Sinne der Anfechtbarkeit jedweden richterlichen Handelns gewährt Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Wo jedoch kein Rechtsweg gewährt wird, kann auch das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht beschnitten werden.
5. Dem Senat ist keine europarechtliche Regelung bekannt, die es gebietet, im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens, das der Klärung eines Behandlungsfehlers dienen soll, zwingend eine Datenauskunft nach Art. 15 DS-GVO einzuholen, geschweige denn, dass das Unterlassen einer solchen Maßnahme durch ein Gericht ein eigenes Rechtsmittelverfahren eröffnet.
6. Art. 79 DS-GVO gewährt lediglich die Möglichkeit, die einer betroffenen Person zustehenden Rechte aus der DS-GVO im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens geltend zu machen, erstreckt sich jedoch nicht auf § 142 ZPO.
7. Der Streitwert einer Datenauskunft ist mit 5.000 EUR zu bemessen.
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 25 OH 11/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 2.1.2020 - 25 OH 11/19 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am 18.3.2008 geborene Antragstellerin hat mit Antragsschrift vom 10.10.2019 die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Sie macht geltend, nach einem häuslichen Unfall am 24.4.2019, bei dem sie sich am rechten Fuß verletzte, im Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße insofern fehlerhaft behandelt worden zu sein, als eine Fraktur der Tibiaepiphyse zwar im Rahmen einer Röntgendiagnostik eindeutig erkannt und befundet, dieser Befund gleichwohl durch die behandelnde Ärztin ignoriert worden sei. Die Antragstellerin sei deshalb zunächst verfehlt nur in Form eines Voltarenverbandes behandelt worden. Vor allem sei fälschlich in einem Arztbrief an die weiterbehandelnden Kinderärzte mitgeteilt worden, dass eine Fraktur ausgeschlossen sei. Erst Wochen später sei die Fraktur und der ursprüngliche (zutreffende) Befund der Röntgenabteilung entdeckt worden. Die Klägerin will geklärt wissen, ob das Handeln der Ärzte der Beklagten fehlerhaft war, ob es sich um grobe Fehler handelt und welche gesundheitlichen Folgen sich daraus für sie ergeben haben oder noch ergeben werden. Ferner beantragt sie, der Antragsgegnerin nach § 142 ZPO aufzugeben, eine vollständige Datenauskunft gemäß Art. 15 DS-GVO einschließlich einer Kopie der Behandlungsdokumentation über die Antragstellerin zwecks Durchführung der Beweiserhebung vorzulegen und weitere (konkret benannte) Behandlungsdokumentationen von sieben Behandlern gemäß § 142 ZPO beizuziehen.
Die Antragsgegnerin hat das Beweisverfahren mangels konkreter Beweisfragen für unzulässig gehalten. Sie behauptet, die Behandlung der Antragstellerin sei im Ergebnis nicht fehlerhaft gewesen, ein Voltarenverband sei auch im Hinblick auf die (unstreitig vorliegende) Fraktur die richtige Behandlung gewesen. Ein Schaden sei der Antragstellerin nicht entstanden. Die Anträge auf Einholung einer Datenauskunft und auf Beiziehung von Behandlungsunterlagen seien unzulässig. Die Behandlungsunterlagen hat die Antragsgegnerin auf Bitten des Gerichts mittlerweile vorgelegt.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 2.1.2020 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet über die seitens der Antragstellerin beantragten Fragen. Die Beiziehung der Behandlungsunterlagen anderer Behandler als der Antragsgegnerin hat sie der Antragstellerin selbst aufgegeben. Die Einholung einer Datenauskunft hat die Kamm...