Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenrecht; vorprozessuales und prozessbegleitendes Privatgutachten in einem Bauprozess zur Berechnung eines Bauzeitverzögerungsschadens; Erschütterung des gegnerischen Privatgutachtens und Waffengleichheit; Angemessenheit der Vergütung des Privatsachverständigen; Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts
Leitsatz (amtlich)
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 153, 235, 238; NJW 2006, 1415 f.; BGHZ 192, 140 ff. = juris Rn 13) sind die Kosten für ein von der Partei unmittelbar vor oder im Verlaufe des Rechtsstreits eingeholten Privatgutachten "ausnahmsweise" erstattungsfähig, wenn der Partei die eigenen Sachkunde fehlt, um ein gegnerisches Sachverständigengutachten zu erschüttern und "Waffengleichheit" herzustellen. Dies ist in einem Bauprozess um Ansprüche wegen Bauzeitverlängerung und -verschiebung regelmäßig der Fall, wenn sich die klagende Partei zur Berechnung ihres Schadens auf entsprechende Privatgutachten bezieht, deren erhebliche Kosten auch Bestandteil der Klagesumme sind.
2. Auch Kosten für Privatgutachten in Höhe von fast 65.000 EUR können in einem solchen Fall "notwendig" im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sein, zumal wenn die Gegenpartei Kosten in (mindestens) vergleichbarer Höhe aufgewandt hatte und ein Gesamtschaden von über 460.000 EUR geltend gemacht wird.
3. Eine Tagessatzhöhe von 875 EUR netto ist für die Erstellung von Gutachten dieser Art auch unter Berücksichtigung der früher nach § 9 JVEG a.F. zu berücksichtigenden Honorarsätze für gerichtlich bestellte Sachverständige angesichts des Umstandes, dass es sich bei der Kostenfestsetzung um ein schematisiertes Massenverfahren handelt, das einer zügigen und möglichst unkomplizierten Abwicklung bedarf, nicht zu beanstanden.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zugelassen, um der unterlegenen Partei Gelegenheit zu geben, die Rechtsprechung des BGH zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens zur Überprüfung zu stellen. Dem Rechtspfleger werden im Kostenfestsetzungsverfahren Aufgaben übertragen, die oft eine intensive Überprüfung des gesamten Sach- und Streitstoffes sowie der jeweiligen, oft mehreren Gutachten erfordern, um ggfs. festzustellen, welche Teile, Fragestellungen und Ausführungen eines Privatsachverständigen prozessbezogen, erforderlich und notwendig waren, um dann eventuell in einem nächsten Schritt auch noch die Angemessenheit der Vergütung des Privatgutachters zu überprüfen.
Normenkette
ZPO § 104 Abs. 3, § 91 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Aachen (Beschluss vom 29.07.2014; Aktenzeichen 7 O 253/11) |
Nachgehend
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 14.8.2014 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 7. Zivilkammer des LG Aachen vom 29.7.2014 - 7 O 253/11 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Beschwerdeführerin zur Last.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin hat - ursprünglich - Restwerklohn und - zuletzt ausschließlich - (Schadensersatz-) Ansprüche wegen Bauzeitverlängerung und Erhöhung des Stahlpreises bei einem öffentlich ausgeschriebenen Bauvorhaben der Beklagten (Umbau des Regenüberlaufbeckens und Neubau eines Retentionsbodenfilters) in Höhe von - zuletzt - über 460.000 EUR geltend gemacht. Zur Begründung hat sie sich auf mehrere Gutachten (gutachterliche Stellungnahmen) der N AG vom 1.4. und 11.5.2010 sowie 14.4.2011 gestützt. Die Kosten für die Gutachten hat sie zumindest in Höhe eines Teilbetrages von 60.000 EUR als Personalkosten für die Erstellung der durch die Behinderungen erforderlich gewordenen Nachträge beansprucht und als Klageposition eingestellt.
Das LG Aachen hat die Ende August 2011 eingegangene und am 22.9.2011 zugestellte Klage - nach Teilrücknahme und Abschluss eines Zwischenvergleichs - mit Urteil vom 20.11.2012 (1085 - 1097 GA) abgewiesen und der Beklagten 90 % der Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die Berufung der Klägerin ist vom Oberlandesgericht Köln mit Urteil vom 28.1.2014 (1349 - 1357 GA) zurückgewiesen worden. Vor Klageeinreichung hatte die Klägerin die Gutachten bereits dem Beklagten übersandt und entsprechende Forderungen geltend gemacht. Der Beklagte hatte mit Rechtsanwaltsschreiben vom 15 Juli 2011 (1501 ff.) zum wiederholten Male einen gemeinsamen Termin zur Massenprüfung vor Ort vorgeschlagen und wegen des beträchtlichen Aufwands zur Prüfung des N-Gutachtens unter Beteiligung von extern eingeschalteter Ingenieurbüros eine Rückäußerung bis zum 5.9.2011 angekündigt, falls die Klägerin sich nicht vorher zur Klageerhebung entschließe. Einen "Vorabzug" der Klageschrift übersandte die Klägerin im weiteren Verlauf mit Anwaltsschreiben vom 12.8.2011 (1504 f.).
Den Antrag der Beklagten auf Nachfestsetzung der Kosten für die von ihr eingeholten Privatgutachten vom 26.2.2014 (1366 GA), insgesamt über einen Betrag von 107.577...