Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber Minderjährigen
Leitsatz (amtlich)
Einen Unterhaltspflichtigen trifft gegenüber seinen minderjährigen Kindern eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Gemäß § 1603 Abs. 2 BGB hat er daher die Obliegenheit zur gesteigerten Ausnutzung seiner Arbeitskraft. Die gesteigerte Unterhaltspflicht nötigt den Unterhaltsverpflichteten zur Übernahme jeder ihm zumutbaren Arbeit, wobei zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder auch Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten zumutbar sind und ein Orts- und Berufswechsel verlangt werden kann.
Zumutbar sein kann auch die Ausübung einer weiteren Nebentätigkeit. Ob eine Nebentätigkeit zumutbar ist, ist Frage des Einzelfalles. Generell kann die Zumutbarkeit nicht verneint werden. Es ist eine Abwägungsfrage, ob in concreto die Verpflichtung zur Ausübung einer Nebentätigkeit für den Unterhaltspflichtigen besteht oder nicht. Zu beachten sind dabei insb. die zwingenden Vorschriften nach dem Arbeitszeitgesetz. Auch kann vom Unterhaltspflichtigen nur verlangt werden, in einem solchen Ausmaß eine Nebentätigkeit auszuüben, wie seine Gesundheit hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Im Normalfall kann es einem gesteigert Unterhaltspflichtigen zugemutet werden, bis zu 48 Stunden die Woche zu arbeiten. Auch bei der derzeitigen hohen Arbeitslosenquote kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass eine ungelernte Arbeitnehmerin nicht vermittelbar wäre. Für ihre Unvermittelbarkeit trägt sie die volle Darlegungs- und Beweislast.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Brühl (Beschluss vom 11.08.2006; Aktenzeichen 32 F 176/06) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des AG - FamG - Brühl vom 11.8.2006 - 32 F 176/06 - abgeändert.
Den Klägern wird zur Durchführung ihrer Klage auf Zahlung von Kindesunterhalt ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. B in G bewilligt.
Gründe
Die zulässige - insb. fristgerecht eingelegte - sofortige Beschwerde der Kläger (§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO) hat auch in der Sache Erfolg.
Die Kläger haben durch Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht, dass sie nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Der beabsichtigten Klage kann auch nicht von vornherein die Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Die minderjährigen Kläger begehren mit der beabsichtigten Unterhaltsklage von der Beklagten Zahlung von Kindesunterhalt i.H.v. 100 % des jeweiligen Regelbetrages der jeweiligen Regelbetragsverordnung abzgl. des anrechenbaren Kindergeldes. Damit machen sie lediglich ggü. der Beklagten das Existenzminimum zur Deckung ihres Lebensbedarfes geltend.
Entgegen der Auffassung des FamG kann nicht ohne Weiteres die Leistungsfähigkeit der Beklagten verneint werden. Den Unterhaltspflichtigen - hier die Beklagte - trifft gegenüber seinen minderjährigen Kindern eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Gemäß § 1603 Abs. 2 BGB hat er daher die Obliegenheit zur gesteigerten Ausnutzung seiner Arbeitskraft. Die gesteigerte Unterhaltspflicht nötigt den Un-
terhaltsverpflichteten zur Übernahme jeder ihm zumutbaren Arbeit, wobei zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder auch Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten zumutbar sind und ein Orts- und Berufswechsel verlangt werden kann. Möglicherweise muss er zusätzlich zu seiner vollschichtigen Tätigkeit eine weitere Nebentätigkeit aufnehmen (so st. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt OLG Köln, Urt. v. 26.9.2006 - 4 UF 70/06; AG Brühl - 31 F 225/05).
Für ihre fehlende bzw. eingeschränkte Leistungsfähigkeit ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Eine verminderte Leistungsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen ist nicht erkennbar. Im summarischen Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte ausreichend glaubhaft gemacht hat, dass sie auch bei den von ihr zu fordernden umfassenden Bemühungen zur Suche nach einer Arbeitsstelle erfolglos geblieben wäre und daher die behauptete fehlende Leistungsfähigkeit ihr aus unterhaltsrechtlicher Sicht nicht vorwerfbar ist.
Ausreichende Bemühungen, eine neue Arbeitsstelle zu finden, sind nicht einmal ansatzweise dargelegt. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte beim Arbeitsamt gemeldet hatte und nunmehr eine befristete Tätigkeit im Geringverdienerbereich erhalten hat, reicht für eine ausreichende Arbeitsplatzsuche nicht aus. Erwartet wird vielmehr eine intensive und konkrete Eigenbemühung. Konkrete Darlegungen dazu, was die Beklagte im Einzelnen unternommen hat und wie intensiv ihre Arbeitsplatzsuche war, sind nicht erkennbar. Ohne konkret feststellbare ausreichende Arbeitsplatzbemühungen kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beklagte nicht vermittelbar wäre. Auch bei der auch heute noch gegebenen hohen Arbeitslosenquote kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte nicht vermittelbar wäre. Die Praxis beweist das Gegenteil. Der Senat weiß aus einer ...