Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwaltsverschulden bei Versäumung der Beschwerdefrist (falsches Gericht)

 

Leitsatz (amtlich)

Der mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragte Verfahrensbevollmächtigte hat als sorgfältiger Anwalt im Einzelnen die Rechtsmittelfristen und das anzuwendende Recht zu überprüfen, bevor er die Beschwerdeschrift herausschickt. Ein sorgfältiger Anwalt hat, wenn er sich unsicher über das anzuwendende Verfahrensrecht ist, durch Akteneinsicht in Erfahrung zu bringen, wann das Verfahren eingeleitet wurde und welches Verfahrensrecht Anwendung findet. Unterlässt er dies und wird deswegen, weil die Beschwerdeschrift an das unzuständige Gericht gerichtet war, die Beschwerdefrist versäumt, hat sich dieses fahrlässige Verhalten der von ihm vertretene Verfahrensbeteiligte zurechnen zu lassen.

Das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten wirkt sich nicht mehr auf die Fristversäumung aus, wenn davon ausgegangen werden kann, dass bei einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang die Beschwerdeschrift noch rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist beim zuständigen Gericht eingegangen wäre (BVerfG NJW 2001, 1343 = FamFZ 2001, 827 bis 828 mit Zitat von BVerfGE 93, 99, 114).

Will sich ein Verfahrensbeteiligter darauf berufen, dass die Rechtsmittelschrift nicht mehr im ordnungsgemäßen Geschäftsgang weitergeleitet worden ist und somit der Kausalverlauf unterbrochen ist, reicht allein der Nachweis, dass der Schriftsatz einige Tage vor Fristablauf eingereicht wurde, nicht aus, da bei der heutigen Belastung der Justizbediensteten nicht erwartet werden kann, dass diese mit der Bearbeitung der Eingänge fortwährend auf dem Laufenden sind und sich dabei auch noch vorrangig der Aufdeckung und Heilung von Anwaltsversehen widmen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 233 Rz. 22b).

 

Verfahrensgang

AG Brühl (Beschluss vom 14.12.2010; Aktenzeichen 31 F 224/09)

 

Tenor

1. Der Antrag des Antragstellers, ihm wegen der Versäumung der einmonatigen Beschwerdefrist nach § 621e, 517 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Sorgerechtsbeschluss des AG - Familiengericht - Brühl vom 14.12.2010 - 31 F 224/09 - wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig verworfen.

3. Der Antrag des Antragstellers, ihm zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird mangels der erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht der Beschwerde zurückgewiesen.

4. Der Antragsgegnerin wird für das Beschwerdeverfahren des Antragstellers ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M. in W. bewilligt.

 

Gründe

1. Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers war zurückzuweisen, da dieser nicht unverschuldet die nach § 621e Abs. 3 Satz 2, § 517 ZPO geltende Beschwerdefrist von einem Monat versäumt hat. Vielmehr beruht die Versäumung der Frist auf einem Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, welches sich der Antragsteller gem. §§ 278 BGB, 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Vorliegendes Sorgerechtsverfahren ist vor Ablauf des 31.8.2009 eingeleitet worden, so dass nach Art. 111 FamFG-RG noch das alte Verfahrensrecht Anwendung findet. Danach war die an sich gegen die Entscheidung statthafte befristete Beschwerde nach § 621e ZPO gem. § 517 ZPO innerhalb eines Monats beim Beschwerdegericht, also dem OLG Köln, einzulegen. Die Frist war gewahrt, wenn die Beschwerdefrist gegen den angegriffenen Beschluss, der dem Antragsteller am 17.12.2010 (Blatt 177 GA) zugestellt worden war, beim OLG mit Ablauf des 17.1.2011 zuging. Tatsächlich eingegangen ist die Beschwerdeschrift beim OLG aber erst durch Übersendung des AG am 25.1.2011 (Blatt 195 GA). Hierzu war es gekommen, weil der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers fälschlich davon ausgegangen war, dass die Beschwerde beim AG einzureichen war. Dort war die Beschwerdefrist innerhalb der Monatsfrist am 12.1.2011 eingegangen (Blatt 181 GA) und dem Abteilungsrichter am 17.1.2011 (einem Montag) vorgelegt worden. Der Abteilungsrichter hat sodann am 20.1.2011 (Blatt 183 GA) durch Beschluss die Vorlage der Beschwerde an das OLG verfügt. Beim OLG eingegangen ist sodann die Beschwerde erst - wie oben ausgeführt - am 25.1.2011 und damit verspätet.

Diese Verspätung hat der Antragsteller zu vertreten. Denn es liegt ein sog. Anwaltsverschulden vor. Hinsichtlich des nach § 85 Abs. 2 ZPO und § 278 BGB zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens ist die übliche, also berufsbedingte strenge Sorgfalt vorauszusetzen, so dass insoweit regelmäßig eine Fristversäumung verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt vermeidbar gewesen war. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und unter Berücksichtigung des eigenen Vortrags des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers kann es nicht zweifelhaft sein, dass diesen an der Fristversäumung ein Verschulden trifft. So geht aus dem Wiedereinsetzungsschriftsatz des Antragstellers vom 22.2.2011 eindeutig hervor, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des ...

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