Entscheidungsstichwort (Thema)

Mittellosigkeit des Betreuten

 

Leitsatz (amtlich)

Eine dem Betreuten als Ausgleich für seine in der Zeit des Nationalsozialismus rechtswidrig vorgenommene Zwangssterilisierung gezahlte Härtebeihilfe im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes ist auch dann nicht als Vermögen des Betroffenen in Ansatz zu bringen, wenn der Betroffene diese Leistungen in eine Lebensversicherung zugunsten eines nahen Angehörigen einzahlt.

 

Normenkette

BGB § 1836d Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Beschluss vom 30.11.2004; Aktenzeichen 4 T 466/04)

AG Bonn (Aktenzeichen 38-XVII Sch 1263)

 

Tenor

Die weitere sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Bonn vom 30.11.2004 - 4 T 466/04 - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Für die Betroffene ist wegen einer körperlichen Behinderung ein Betreuer bestellt. Der Beteiligte zu 4) beantragte mit Schreiben vom 5.3.2004 die Festsetzung von Vergütung und Aufwendungsersatz für die Tätigkeit des Betreuers vom 5.5.2003 bis 31.12.2003 aus dem Vermögen der Betroffenen. Die Betroffene war in der Zeit des Nationalsozialismus zwangssterilisiert worden und erhält seit Jahren von der P Köln eine Härtebeihilfe i.H.v. 102,26 EUR (200 DM) nach den Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes. Die Betroffene hat diese Leistungen in der Vergangenheit in eine Lebensversicherung eingezahlt, die jetzt beitragsfrei geführt wird und am 1.9.2005 abläuft. Die Versicherungssumme beträgt 7.034 EUR, die Gesamtleistung einschließlich Überschussbeteiligung voraussichtlich 9.620 EUR. Versicherte Person ist eine Nichte der Betroffenen. Das übrige Einkommen der Betroffenen besteht aus einer Altersrente i.H.v. 451,79 EUR und Leistungen der Pflegeversicherung i.H.v. 1.023 EUR. Neben der Lebensversicherung bestehen Ersparnisse i.H.v. 1.656,91 EUR.

Das AG hat mit Beschl. v. 29.10.2004 die Vergütung antragsgemäß festgesetzt und bestimmt, dass die Vergütung aus dem Vermögen der Betroffenen zu entnehmen sei. Auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen hat das LG Bonn unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses die dem Betreuer bewilligte Vergütung nebst Auslagen gegen die Landeskasse festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 2) mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig; sie ist vom LG in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich zugelassen worden (§ 56g Abs. 5 S. 2, 69e S. 1 FGG).

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Die Entscheidung des LG, wonach die Betroffene mittellos i.S.d. § 1836d Nr. 1 BGB ist, weist keine Rechtsfehler auf.

Das LG hat zutreffend ausgeführt, dass die Betroffene die aus der Härtebeihilfe gebildeten Ersparnisse in Form der abgeschlossenen Lebensversicherung nicht einzusetzen braucht, weil dies für sie eine Härte i.S.v. § 88 Abs. 3 BSHG bedeuten würde. Gemäß § 10 der Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes sollen die gewährten Leistungen den Betroffenen als Ausgleich für das erlittene Unrecht zugute kommen. Die Härtebeihilfe wird hiernach nicht primär wegen der Bedürftigkeit der Antragsteller gewährt und dient auch nicht einem schädigungsbedingten Mehraufwand. Ihr kommt vielmehr eine immaterielle Ausgleichsfunktion zu, die - wie das LG zutreffend ausgeführt hat - derjenigen des Schmerzensgeldes (§ 253 Abs. 2 BGB) ähnlich ist. Den Geschädigten soll ein Ausgleich für entgangene Lebensfreude ermöglicht werden. Sie sollen in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die erlittenen Beeinträchtigungen - jedenfalls teilweise - ausgleichen. Dieser Leistungszweck wird auch nach Auffassung des Senates nur erreicht, wenn die Leistungen den Betroffenen vollständig zur Verfügung stehen, d.h. sie damit machen können was sie wollen. In dieser freien Verfügbarkeit wäre die Betroffene vorliegend aber eingeschränkt, wenn sie entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch daran gehindert wäre, aus den bezogenen Härteleistungen Ersparnisse zugunsten ihrer Nichte zu bilden. Denn die angesparten Härteleistungen dienen als Vermögen dem gleichen Zweck wie die monatlichen Beihilfen. Wenn die Betroffene die Leistungen anspart und es ihr Freude bereitet, das angesparte Vermögen einer ihr nahestehenden Person zukommen zu lassen, ist diese Art der Verwendung von der der Härtebeihilfe zukommenden Ausgleichsfunktion gedeckt. Es würde für sie eine Härte bedeuten, wenn sie die Summe der Lebensversicherung für die Kosten der Betreuung einsetzen müsste, weil diese Leistungen ihr dann nicht zu den Zwecken zur Verfügung stünden, für die sie bestimmt waren.

Die Betreuervergütung ist deshalb zu Lasten der Staatskasse festzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1336769

BtPrax 2005, 237

OLGR-Mitte 2005, 309

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