Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterliche Sorge bei geplanter Auswanderung des betreuenden Elternteils

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auswanderungsabsicht eines Elternteils steht nicht zur Disposition der familiengerichtlich zu treffenden Sorgerechtsentscheidung.

2. Im Rahmen einer vorzunehmenden Gesamtabwägung ist zu beurteilen, ob die Auswanderung der bislang betreuenden Kindesmutter oder der Verbleib im Inland beim Kindesvater die für das Kindeswohl bessere Lösung darstellt.

 

Normenkette

BGB § 1671; GG Art. 6 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Waldbröl (Beschluss vom 20.04.2010; Aktenzeichen 12 F 61/10)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Waldbröl vom 20.4.2010 (12 F 61/10) teilweise abgeändert und zu II. der Entscheidungsformel betreffend die elterliche Sorge wie folgt gefasst:

Die elterliche Sorge für D. I., geboren am 26.11.2008, wird der Antragstellerin allein übertragen.

2. Hinsichtlich der Kosten erster Instanz bleibt es bei der angefochtenen Entscheidung. Auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

1. Durch den angefochtenen Beschluss des Familiengerichts, auf dessen Inhalt wegen aller Einzelheiten verwiesen wird, ist die Ehe der Beteiligten zu 1. und 2. geschieden sowie unter Zurückweisung des Sorgerechtsantrages der Antragstellerin (Mutter) bestimmt worden, dass die elterliche Sorge für das betroffene Kind beiden Elternteilen gemeinsam zusteht (Ziff. II. der Entscheidungsformel) und dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde gegen die Entscheidung zur elterlichen Sorge und verfolgt ihren Antrag auf Übertragung der Alleinsorge weiter.

Sie begründet dies mit der von ihr seit längerer Zeit geplanten Auswanderung nach Kanada, an der der Antragsgegner ursprünglich - vor der Trennung der Beteiligten zu 1. und 2. - auch habe teilnehmen wollen. Die Auswanderung der gesamten Familie einschließlich ihrer Eltern sei seit langer Zeit geplant und vorbereitet. Die Familie ihrer Schwester wohne bereits in Kanada und habe ein Haus gebaut, in dem auch sie Unterkunft finden werde. Sie habe auch schon eine Arbeitsstelle, die sie antreten könne. Dem Antragsgegner werde der Umgang mit D. ermöglicht werden, wenn er besuchsweise nach Kanada komme.

Sie gibt an, D. bisher im Wesentlichen allein versorgt zu haben.

Die Antragstellerin beantragt, unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die elterliche Sorge auf sie allein zu übertragen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Er will weiterhin mit der Antragstellerin gemeinsam die elterliche Sorge wahrnehmen und widerspricht der Auswanderung des Kindes zusammen mit der Antragstellerin. Er macht geltend, dass der Umgang mit dem Kind im Falle der Auswanderung mit der Mutter praktisch unmöglich gemacht würde und es nicht dem Kindeswohl entspreche, ohne Vater aufzuwachsen. Er misstraut dem Angebot der Antragstellerin zur Ermöglichung des Umgangs in Kanada.

Wegen des Weiteren Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Das beteiligte Jugendamt ist in der mündlichen Verhandlung angehört worden.

2. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist die elterliche Sorge allein der Antragstellerin zu übertragen, weil dies dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Dies ergibt sich für den Senat bei einer umfassenden Würdigung der entsprechend der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Beschl. v. 28.4.2010 XII ZB 81/09 RZ. 18,20 m.w.N. zitiert nach JURIS) zu beachtenden Gesichtspunkte des Kindeswohls unter Berücksichtigung der durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Elternrechte beider Elternteile.

Dabei ist zu beachten, dass die Auswanderungsabsicht der Antragstellerin nicht zur Disposition der familiengerichtlich zu treffenden Entscheidung steht, sondern im Rahmen der Gesamtabwägung zu beurteilen ist, ob die Auswanderung mit der Antragstellerin oder der Verbleib im Inland beim Antragsgegner die für das Kindeswohl bessere Lösung ist (vgl. BGH, a.a.O., Rz. 28).

Vorliegend misst der Senat dem Grundsatz der Betreuungs- und Bindungs-Kontinuität in Bezug auf die Mutter für das noch nicht zwei Jahre alte Kind einen hohen und letztlich entscheidenden Stellenwert bei. Da sich auch der Antragsgegner - abgesehen von der Auswanderungsabsicht - für einen Verbleib des Kindes bei der Mutter ausgesprochen hat, kann es letztlich keinem Zweifel unterliegen, dass dies die bessere Lösung für das Kind ist, da anderen entgegen stehenden Gesichtspunkten kein noch höherer Stellenwert im Hinblick auf das Kindeswohl beizumessen ist.

Hier hat der Senat berücksichtigt, dass mit der Auswanderung nach Kanada jedenfalls das sowohl im Interesse des Kindes als auch des Vaters bestehende Umgangsrecht, das Gegenstand des durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleist...

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