Leitsatz (amtlich)
1. Ein vom Tatgericht in der Hauptverhandlung mündlich verkündeter Urteilstenor („Freispruch“) begründet auch dann ein rechtswirksames und damit rechtsmittelfähiges Urteil, wenn eine solche Urteilsformel zuvor nicht oder nicht vollständig schriftlich niedergelegt und somit nicht „verlesen“ wurde; das Erfordernis einer Verschriftlichung der Tenors vor der Verkündung ist für einen rechtswirksamen Urteilsspruch nicht konstitutiv.
2. Sieht das Gericht nach einem rechtswirksamen Urteilsspruch davon ab, binnen der in § 275 Abs. 1 StPO vorgesehenen Frist schriftliche Urteilsgründe zur Akte zu bringen, wird die Frist zur Revisionsbegründung gemäß § 345 Abs. 1 StPO mit der förmlichen Zustellung der Urteilsformel in Gang setzt.
Normenkette
StPO § 345 Abs. 1, § 268 Abs. 2 S. 1, § 275 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Köln (Entscheidung vom 15.01.2020) |
Tenor
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Am 15. Januar 2020 hat vor dem Amtsgericht Köln - Schöffengericht - die Hauptverhandlung gegen die drei Angeklagten stattgefunden; verfahrensgegenständlich sind Taten vom 13. Oktober 2018, die die Staatsanwaltschaft gemäß Anklage vom 4. Juni 2019 als Raub und Freiheitsberaubung angeklagt hat.
Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 15. Januar 2020 weist folgenden Eintrag auf (Bl. 227 d.A.):
"Die Schöffen signalisieren nach Blickkontakt mit dem Richter ihre Zustimmung. Der Vorsitzende Richter erklärt sodann: Dann machen wir das so: Freispruch."
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Ausspruch ein Rechtsmittel eingelegt, das am 16. Januar 2020 beim Amtsgericht eingegangen ist.
Der Vorsitzende des Schöffengerichts ist ausweislich seines Aktenvermerks vom 3. Februar 2020 der Ansicht, es sei kein rechtswirksames Urteil ergangen; er beabsichtigt, einen neuen Hauptverhandlungstermin zu bestimmen. Diesen Aktenvermerk hat er der Staatsanwaltschaft "U.m.A. unter Hinweis auf obigen Vermerk zur Kenntnis und ggf. Stellungnahme" übersandt (Bl. 228 d.A.). Wann die Akte bei der Staatsanwaltschaft eingegangen ist, ist nicht aktenkundig.
Mit Verfügung vom 18. Februar 2020 hat die Staatsanwaltschaft um Absetzung des Urteils gebeten und Ausführungen dazu gemacht, dass nach ihrer Auffassung das Gericht ein (freisprechendes) Urteil verkündet habe (Bl. 246 d.A.).
Mit Verfügung vom 5. März 2020 hat der Vorsitzende an seiner Rechtsauffassung festgehalten, bei der Staatsanwaltschaft "angefragt" ob an dem Rechtsmittel festgehalten wird und um Spezifizierung als Berufung oder Revision gebeten (Bl. 250 d.A.). Ein schriftliches Urteil ist bislang nicht abgesetzt worden.
Mit Verfügung vom 10. März 2020 hat die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel als Revision bezeichnet (Bl. 252 d.A.).
Der Vorsitzende des Schöffengerichts hat die Akte im Hinblick darauf (unmittelbar) dem Senat vorgelegt.
II.
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.
Zwar hat das Amtsgericht in der Hauptverhandlung vom 15. Januar 2020 ein rechtswirksames Urteil verkündet, gegen das die Staatsanwaltschaft fristgerecht "Rechtsmittel" eingelegt hat. Da das Urteil aber bisher nicht wirksam zugestellt wurde, wurde auch die Revisionsbegründungsfrist, innerhalb derer eine Spezifizierung des Rechtsmittels erfolgen kann, nicht in Gang gesetzt. Die Akte ist daher an das Amtsgericht zurückzugeben, damit die Zustellung bewirkt werden kann.
1.
Das freisprechende Erkenntnis des Amtsgerichts vom 15. Januar 2020 stellt ein rechtwirksames Urteil dar, gegen das ein Rechtsmittel statthaft ist.
Wesentlicher Teil der Urteilsverkündung ist die Verlesung der Urteilsformel; fehlt sie, so liegt kein Urteil im Rechtssinne vor (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 268 Rn. 5 m.w.N.). Demnach enthält die Urteilsformel den eigentlichen Urteilsausspruch. § 173 Abs. 1 GVG bezeichnet sie sogar als das "Urteil". Ist die Formel nicht verkündet, so liegt deshalb kein Urteil im Rechtssinne vor (vgl. BGHSt 8, 41 ff, zitiert nach juris, Rn. 8).
Ausweislich des Sitzungsprotokolls, welchem nach § 274 StPO formelle Beweiskraft zukommt, hat der Vorsitzende des Schöffengerichts in der Hauptverhandlung eine Urteilsformel verkündet. Zwar verstieß die Verfahrensweise des Tatrichters gegen die Verfahrensvorschrift des § 268 Abs. 2 S 1 StPO, weil - wie sich aus dem von ihm selbst niedergelegten Aktenvermerk vom 3. Februar 2020 ergibt - der Tenor nicht zuvor schriftlich niedergelegt und nicht durch Verlesung verkündet wurde. Eine verkündete Urteilsformel begründet jedoch auch dann ein rechtswirksames und damit rechtsmittelfähiges Urteil, wenn eine Urteilsformel verkündet wird, die zuvor nicht oder nicht vollständig schriftlich niedergelegt wurde (vgl. so wohl in der Tendenz auch Beck-OK-Peglau, § 268 Rn. 4: "fraglich"). Der Sinn und Zweck des Erfordernisses, die Urteilsformel zunächst zu verschriftlichen und sodann zu verlesen, besteht darin, die Übereinstimmung zwischen der verkündeten Urteilsformel und der protokollierten und in das schriftliche Urteil übergehenden Formulierung zu sichern (vgl. RGSt 16, 347, 349). D...