Entscheidungsstichwort (Thema)
Funktionelle Zuständigkeit des Richters für die Einziehung eines Erbscheins
Leitsatz (amtlich)
Werden Einwendungen gegen die Einziehung eines Erbscheins erstmals im Beschwerdeverfahren erhoben ist auch bei Aufhebung des in § 16 Abs. 1 Nr. 1 RPflG geregelten Richtervorbehalts der Richter für die Entscheidung über die Einziehung funktionell zuständig.
Normenkette
BGB § 2361; RichtVorAufhebV NW § 1 Abs. 1 S. 2; RPflG § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
AG Heinsberg (Beschluss vom 21.04.2022; Aktenzeichen 2 VI 653/21) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 05.05.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Heinsberg - Nachlassgericht - vom 21.04.2022 - 6 VI 653/21 - aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - durch den zuständigen Nachlassrichter - an das Amtsgericht Heinsberg zurückverwiesen.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Frau M. H. L. geboren am 22.2.1940 in Düsseldorf (im Folgenden: Erblasserin), ist am 14.10.2021 verstorben. Am 06.01.2022 wurde der Beteiligten zu 1) vom Amtsgericht Heinsberg aufgrund gesetzlicher Erbfolge antragsgemäß ein Erbschein erteilt, der diese als Alleinerbin der Erblasserin ausweist.
Unter dem 30.11.2021 wurde vom Amtsgericht Siegburg (Az.: 49 IV 218/21) ein Einzeltestament der Erblasserin vom 17.09.2003 (Ur.-Nr.: 1478/2003 des Notars T.) eröffnet, in welchem der Beteiligte zu 2) als alleiniger Erbe bestimmt ist.
Daraufhin hat das Amtsgericht Heinsberg den Erbschein mit Beschluss vom 06.01.2022 eingezogen. Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) unter dem 05.05.2022 Beschwerde eingelegt. Den erteilten Erbschein hat sie inzwischen an das Amtsgericht Heinsberg zurückgegeben.
II. Die gegen den Einziehungsbeschluss gerichtete, nach § 58 FamFG statthafte und gemäß §§ 63 ff. FamFG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat in der Sache vorläufig Erfolg, weil der angefochtene Beschluss hier von der funktionell unzuständigen Rechtspflegerin erlassen worden ist.
Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Einziehung von Erbscheinen gemäß § 3 Abs. 2 c) RpfIG, § 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG dem Rechtspfleger übertragen. Etwas anderes gilt gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG aber dann, wenn der Erbschein wegen einer Verfügung von Todeswegen einzuziehen ist. Dieser Fall liegt hier vor.
Ein erteilter Erbschein ist gemäß § 2361 BGB einzuziehen, wenn er unrichtig ist. Hinsichtlich des vom Amtsgericht Heinsberg erteilten Erbscheins vom 06.01.2022 ist zu entscheiden, ob er aufgrund der zwischenzeitlich eröffneten letztwilligen Verfügung von Todes wegen, nämlich dem Testament der Erblasserin vom 17.09.2003, unrichtig ist. Es geht also um eine Einziehung eines Erbscheins aufgrund einer Verfügung von Todes wegen im Sinne von § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG.
Allerdings ist der in § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG geregelte Richtervorbehalt durch § 1 Abs. 1 Verordnung zur Aufhebung von Richtervorbehalten und zur Übertragung von Aufgaben des Rechtspflegerdienstes auf die Urkundsbeamtinnen und Urkundsbeamten der Geschäftsstelle NRW vom 25. November 2021 (RichtVorAufhebV NW) in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG aufgehoben worden, so dass nunmehr grundsätzlich der Rechtspfleger für die Einziehung von Erbscheinen auch dann zuständig ist, wenn diese aufgrund einer Verfügung von Todes wegen erfolgt. Der somit grundsätzlich zuständige Rechtspfleger hat nach § 1 Abs. 1 Satz 2 RichtVorAufhebV NW i.V.m. § 19 Abs. 2 RPflG die Sache aber wiederum dem Richter vorzulegen, soweit gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden. Die seit dem 1.1.2022 geltende Norm ist hier anwendbar, weil das Erbscheineinziehungsverfahren vor dem 31.12.2021 noch nicht anhängig war (vgl. § 1 Abs. 2 RichtVorAufhebV NW).
Danach bestand hier eine Pflicht zur Vorlage an den Richter. Dem steht nicht entgegen, dass die Beteiligte zu 1) erstmals im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 5.8.2022 Einwände gegen die Einziehung des Erbscheins vom 06.01.2022 erhoben hat. Denn sie ist vor Erlass des Einziehungsbeschlusses durch das Amtsgericht Heinsberg hinsichtlich der beabsichtigten Einziehung des Erbscheins vom 06.01.2022 nicht angehört worden. Das Nachlassgericht hat den Beteiligten vor der Einziehung eines Erbscheins das rechtliche Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 34 FamFG) (vgl. MüKoBGB/Grziwotz, 9. Aufl. 2022, BGB § 2361 Rn. 28; Grüneberg/Weidlich, BGB, 81. Auflage, zu § 2361 Rn. 9). Insbesondere die in dem einzuziehenden Erbschein ausgewiesene Erbin ist gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG Beteiligte in diesem Sinne. Im Hinblick auf die gegen den Einziehungsbeschluss vom 21.4.2022 seitens der Beteiligten zu 1) eingelegte Beschwerde und die Ausführungen in der Beschwerdebegründung ist davon auszugehen, dass die Beteiligte zu 1) bei ordnungsgemäßer Anhörung vor Erlass des Einziehungsbeschlusses schon in diesem Verfahrensstadium Einwände gegen d...