Entscheidungsstichwort (Thema)
Glücksspiel von "Hartz-IV-Empfängern"
Leitsatz (amtlich)
Ein Wetteinsatz über 50 EUR kann bei Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen, außer Verhältnis zum Einkommen stehen. Eine Spielsperre und Zurückweisung ihres Einsatzes muss und darf aber erst nach Anhörung durch die Wettanbieter, nicht sofort nach Bekanntwerden ihrer Einkommensverhältnisse in der Annahmestelle erfolgen.
Normenkette
UWG §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 Abs. 1, 4; GlüStV § 8 Abs. 2, 4; GlüStV AG NW § 12 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 05.05.2011; Aktenzeichen 81 O 18/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 5.5.2011 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Köln - 81 O 18/11 - teilweise abgeändert:
Die einstweilige Verfügung vom 28.2.2011 in der Fassung des vorgenannten Urteils wird zu Nr. I (3) und (4) aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag insoweit zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin ist die Lotteriegesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Antragstellerin bietet insbesondere über das Internet Glücksspiele auch in Deutschland an. Anfang 2011 erwarben in ihrem Auftrag Testpersonen Lose und Wettscheine in Annahmestellen der Antragsgegnerin in Köln, Hürth und Wesseling. Ihrer Ansicht nach wurde dabei gegen Marktverhaltensregeln des Glücksspielstaatsvertrages verstoßen. Antragsgemäß hat das LG mit Beschluss vom 28.2.2011 eine einstweilige Verfügung erlassen und diese nach Widerspruch der Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Urteil bestätigt. Ihre dagegen eingelegte Berufung hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung insoweit zurückgenommen, als ihr (zu Ziff. 1 und 2) untersagt worden ist, spielgesperrten Personen bei Vorlage der Lotto-Basis-Karte eines Dritten ohne weitere Identitätskontrolle sowie Minderjährigen eine Glücksspielteilnahme zu ermöglichen. Aufhebung der einstweiligen Verfügung und Zurückweisung des Antrags begehrt sie weiterhin, soweit es (zu Ziff. 3 und 4) um Verhaltensweisen gegenüber Personen geht, die sich den Mitarbeitern ihrer Annahmestellen als überschuldet oder als jemand darstellen, bei dem der Spieleinsatz in keinem Verhältnis zum Einkommen steht. Die Berufung rügt insoweit unzureichende Tatsachenfeststellungen und Rechtsanwendungsfehler des LG.
II. Die insgesamt zulässige Berufung hat in dem nach teilweiser Rücknahme durch die Antragsgegnerin weiter verfolgten Umfang in der Sache Erfolg.
1. Zu Recht hat das LG die Antragstellerin allerdings als aktiv legitimiert (§§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG) und ihr Begehren weder als missbräuchlich (§ 8 Abs. 4 UWG) noch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig angesehen.
Die Parteien stehen als Glücksspielanbieter im Wettbewerb; ob die Tätigkeit der Antragstellerin im Inland gesetzwidrig ist, berührt ihre Befugnis zur - auch im Allgemeininteresse liegenden - Verfolgung von Verstößen der Antragsgegnerin nicht (vgl. BGHZ 162, 246 = GRUR 2005, 519 = WRP 2005, 735 [Rz. 16 f., 22 f.] - Vitamin-Zell-Komplex). Von einer schlechthin verbotenen Tätigkeit, mit der eine Inanspruchnahme staatlicher Gerichte unvereinbar wäre (vgl. BGH, a.a.O., [Rn.]; Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 8 Rz. 3.27 a.E.), kann bei dem seiner Art nach erlaubnisfähigen Angebot der Parteien keine Rede sein. Zudem hängt die umstrittene Rechtsbeständigkeit des deutschen Glücksspielsystems auch vom Marktverhalten der staatlich zugelassenen Anbieter ab, deren wettbewerbsgerichtliche Kontrolle der auf den Markt drängenden Antragstellerin deshalb billigerweise nicht versagt werden kann (OLG Köln, Urt. v. 8.10.2010 - 6 W 142/10 = MD 2011, 350).
Ein missbräuchlicher Einsatz von Testpersonen ist der Antragstellerin nicht vorzuwerfen. Dies käme in Betracht, wenn sie ohne Anhaltspunkte für einen bereits begangenen oder bevorstehenden Wettbewerbsverstoß nur die Absicht verfolgte, den Mitbewerber "hereinzulegen", um ihn mit einem Wettbewerbsprozess überziehen zu können (BGH, Beschl. v. 19.5.2011 - I ZR 215/08); dazu müsste der agent provocateur die Bereitschaft der Wettbewerberin zu Rechtsverstößen aber nicht nur aufgedeckt, sondern überhaupt erst verursacht haben (Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 4 Rz. 10.162; § 11 Rz. 2.41). Das ist nach dem Akteninhalt nicht anzunehmen.
2. Entgegen der Berufungsrüge sind die auf Unterlassung gerichteten Anträge zu Ziff. 3 und 4, denen das LG unter redaktioneller Neufassung im angefochtenen Urteil entsprochen hat, auch bestimmt genug (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Obwohl die vorangestellte verbale Umschreibung Bestimmungen des landesgesetzlich in Kraft gesetzten Glücksspielstaatsvertrages (§§ 8 Abs. 2 und 4, 21 Abs. 3 GlüStV) weitgehend wörtlich wiederholt, handelt es sich nicht um unzulässige gesetzeswiederholende Anträge (vgl. BGH, GRUR 2010, 749 = WRP 2010, 1030 [Rz. 21] - Erinnerungswerbung im Internet), weil der folgende Konditionalsatz ("wenn dies wie nachfolgend wiedergegeben geschieht") klarstellt, dass sich das Unterlassungsbeg...