Leitsatz (amtlich)

Für einen Fahrzeugführer, der auf einer Straße mit mehreren Fahrspuren von der rechten auf die mittlere Spur wechseln will, gelten die besonderen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 5 StVO dann nicht, wenn sich auf der mittleren Spur eine Schlange von mehreren vor einer Ampelanlage stehenden Fahrzeugen gebildet hat. Fährt er in eine auf der mittleren Fahrspur zwischen zwei Fahrzeugen befindliche Lücke soweit hinein, dass der Führer des dort wartenden Fahrzeuges ihn bei gehöriger Aufmerksamkeit bemerken muss, so trifft diesen ein Verschulden, wenn er beim Anfahren mit dem schräg vor ihm befindlichen, noch stehenden Fahrzeug kollidiert. Lässt sich nicht klären, ob er mit dem Fahrstreifenwechsel einverstanden war (etwa aufgrund gegenseitiger Verständigung durch Handzeichen), so ist das Unfallereignis für denjenigen, der den Fahrstreifen wechselt, kein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG. Er muss in einem solchen Fall für eine leicht erhöhte Betriebsgefahr (30 %) einstehen.

 

Normenkette

StVG §§ 7, 17 Abs. 1, § 18 Abs. 3; StVO § 7

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 20 O 671/01)

 

Tenor

Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Beklagten wird das am 17.6.2002 verkündete Urteil des LG Köln – 20 O 671/01 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.108,22 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 10.11.2001 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 70 % und der Kläger zu 30 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO n.F. abgesehen.

 

Gründe

Die Berufung ist zulässig und im zuerkannten Umfange begründet.

Auf der Grundlage des vom LG zutreffend festgestellten und im Berufungsrechtszug zugrunde zu legenden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) Geschehensablaufes steht dem Kläger gegen die Beklagten gem. §§ 7, 18 StVG i.V.m. §§ 1, 3 PflVG zwar ein Anspruch auf Ersatz des bei dem Unfallereignis vom 5.10.2001 entstandenen Schadens zu. Auch er ist den Beklagten indes gem. § 7 Abs. 1 StVG zum Schadenersatz verpflichtet. Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile gem. §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 3 StVG führt im Ergebnis zu einer Verteilung der Haftungsquoten im Verhältnis von 70 % zu Lasten der Beklagten und 30 % zu Lasten des Klägers.

Der Kläger war, nachdem er aus der Parktasche der F.-Straße ausgeschert war, mit seinem Fahrzeug in die vor dem Lkw der Beklagten befindliche Fahrzeuglücke jedenfalls so weit hinein gefahren, dass das linke Vorderrad auf der mittleren Fahrspur gestanden hat (vgl. die Skizze des Zeugen W., Bl. 85 d.A.). In dieser Position stand das Fahrzeug schräg versetzt zu den dort wartenden Fahrzeugen eine ganze Weile, denn die Ampel an der Kreuzung F.-Straße/O. Straße hat – so der Zeuge – erst 20–30 Sekunden später auf Grünlicht geschaltet. Der Beklagte zu 2) ist anschließend mit dem von ihm geführten Lkw losgefahren und mit dem noch stehenden Pkw des Klägers kollidiert. Dabei geht der Senat mit dem LG davon aus, dass der Beklagte zu 2) aus seiner Sitzposition heraus den Pkw des Klägers bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte bemerken können und müssen. Nach Einsichtnahme der Lichtbilder von dem Beklagtenfahrzeug kann dies auch ohne sachverständige Hilfe beurteilt werden. Da der Beklagte zu 2) beim Umschalten der Lichtzeichenanlage auf grün losgefahren ist, ohne auf das vor ihm befindliche Kfz des Klägers zu achten – wobei ihm indes ein vorsätzliches Verhalten nicht unterstellt werden kann –, trifft ihn ein erheblicher Fahrlässigkeitsvorwurf. Dieser rechtfertigt es, dass die Beklagten für die Unfallfolgen überwiegend einzustehen haben.

Auf der anderen Seite hat auch Kläger nicht den Nachweis führen können, dass das Unfallgeschehen für ihn ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG (a.F.) darstellte. Er hatte vor dem Hineinfahren in die mittlere Spur zwar geblinkt und versucht, den Fahrstreifenwechsel (auch mit Handzeichen) anzukündigen. Von einer Verständigung mit dem Beklagten zu 2) in der Weise, dass dieser den beabsichtigten Fahrstreifenwechsel registriert hatte und damit einverstanden war, kann aber nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgegangen werden. Der Zeuge Wangen konnte dies aus seiner rückwärtigen Position heraus nicht bestätigen. Er hat eine Verständigung der beiden Fahrzeugführer nur vermutet. Der Kläger ist somit in die vor dem Lkw befindliche Fahrzeuglücke hinein gefahren, ohne sicher sein zu können, dass der Beklagte zu 2) dieses Manöver bemerkt hatte. Ein solches Verhalten genügt nicht den hohen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 2 StVG. Ohne Verständigung mit dem Führer des auf der anderen Fahrspur befindlichen Kfz stellte es – jedenfalls objektiv – ein Hineindrängen in die parallele Fahrspur dar. Einen schuldhaften Verstoß des Klägers gegen § 7 Abs. 5 StVO, der zu einer we...

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