Entscheidungsstichwort (Thema)
Überholen bei unklarer Verkehrslage
Leitsatz (amtlich)
Bei unklarer Verkehrslage überholt nicht, wer auf einer geraden, bevorrechtigten Straße außerhalb des Ortes mit einer zulässigen Geschwindigkeit von nicht über 100 km/h auf gerader frei einsehbarer Strecke ohne Gegenverkehr mehrere Fahrzeuge überholt, auch wenn im Überholbereich linksseitig die Einmündung einer untergeordneten Straße liegt, auf der sich ein wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer befindet.
Unklar ist eine Verkehrssituation nur dann, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen nicht mit einem gefahrlosen Überholvorgang rechnen darf. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Überholstrecke unübersichtlich ist bzw. die Entwicklung der Verkehrslage bei Einleitung des Überholvorgangs nicht verlässlich beurteilt werden kann. Ein relevanter Zweifel an der Gefahrlosigkeit des Überholvorgangs kann auch dann entstehen, wenn das Verhalten eines Querverkehrs nicht übersehen werden kann (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 5 StVO Rz. 26 mit weiterem Nachweis).
Auch wenn ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich bei seinem Fahrverhalten ein mögliches Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer einkalkulieren muss, besteht daher bei ansonsten klarer Verkehrslage im Bereich von Straßeneinmündungen kein generelles Überholverbot.
Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 06.05.2009; Aktenzeichen 13 O 286/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 6.5.2009 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des LG Bonn - 13 O 286/05 - abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 65.000 EUR abzgl. vorgerichtlich gezahlter 5.000 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozent über dem Basiszinssatz hinsichtlich der Beklagten zu 1. und 2. seit dem 29.7.2005, der Beklagten zu 3. seit dem 1.8.2005 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger gesamtschuldnerisch sämtlichen materiellen und zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, der auf den Verkehrsunfall zurückzuführen ist, der sich am 12.12.2002 gegen 07.30 Uhr auf der K 00 zwischen S.-X. und N. zwischen dem vom Kläger gesteuerten Pkw B., amtliches Kennzeichen YY - Y 0000, und dem vom Beklagten zu 1 gesteuerten Pkw W., amtliches Kennzeichen YY - X 1111, dessen Halterin die Beklagte zu 2. ist und der bei der Beklagten zu 3. Haftpflicht versichert ist, ereignet hat.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet oder hinterlegt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 12.12.2002 gegen 07.30 Uhr auf der K 00 zwischen S.-X. und Meckenheim zwischen dem vom Kläger gesteuerten Pkw B., amtliches Kennzeichen YY - Y 0000, und dem vom Beklagten zu 1 gesteuerten Pkw W., amtliches Kennzeichen YY - X 1111, dessen Halterin die Beklagte zu 2 ist und der bei der Beklagten zu 3 Haftpflicht versichert ist, ereignet hat. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), allerdings mit der Abänderung, dass der Kläger das hier bezeichnete Fahrzeug B. (YY - Y 0000) und der Beklagte zu 1 das Fahrzeug W. (YY - X 1111) steuerten.
Das LG hat die auf Schmerzensgeld und Feststellung gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, den Kläger treffe ein Mitverschulden an dem Unfallgeschehen. Zudem treffe ihn ein Mitverschulden am Eintritt seiner Verletzungen gemäß 254 Abs. 1 BGB, weil nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme feststehe, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfallgeschehens nicht ordnungsgemäß angeschnallt gewesen sei. Darüber hinaus seien weder die festgestellte Schulterluxation noch der "Morbus Sudek" dem Unfallgeschehen zuzuordnen, so dass unter Abwägung aller Umstände bei anzunehmenden unfallursächlichen Distorsionen der HWS und der LWS mit persistierenden Beschwerden und folgenlos ausgeheilter dilozierter Rippenserienfraktur und weiter erlittener contusio cordis mit nachfolgenden Herz-Rhythmus-Störungen dem Kläger über den gezahlten Betrag hinaus unter Berücksichtigung seines Mitverschuldensanteils von ¼ zum Unfallgeschehen und einem weiteren Viertel an den unfallbedingten Verletzungsfolgen kein Schmerzensgeld mehr zustehe. Der Feststellungsantrag sei unbegründet, weil die Möglichkeit eines weiteren zukünftigen Schadens nicht gegeben sei. Es bestehe kein Grund, mit dem Eintritt unfallbedingter Dauerschäden zu rechnen.
Gegen dieses dem Kläger am 7.5.2009 zugestellte Urteil hat dieser mit bei Gericht am 5.6.2009 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, die er...