Entscheidungsstichwort (Thema)
Schmerzensgeldhöhe bei begrenzter Leidenszeit
Leitsatz (amtlich)
Verstirbt der - hier durch ärztliche Fehlbehandlung - geschädigte Kläger im Verlaufe des Prozesses, kommt die Zuerkennung einer Schmerzensgeldrente zusätzlich zu einem Kapitalbetrag nicht in Betracht.
Die Bemessung des Schmerzensgeldes wird zwar auch durch die Länge der Leidenszeit beeinflusst; maßgebend bleiben aber die Umstände des Einzelfalles, so dass die begrenzte Leidenszeit nicht zwangsläufig zu einer deutlichen Anspruchsminderung führen muss.
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 18.04.2001; Aktenzeichen 11 O 327/97) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 18.4.2001 verkündete Urteil des LG Aachen (11 O 327/97) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner ein Schmerzensgeld i.H.v. 153.387,56 Euro (300.000.- DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 9.10.1997 zu zahlen.
Die hinsichtlich des Schmerzensgeldes weiter gehende Klage wird abgewiesen und die entsprechende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die auf Abweisung der Klage hinsichtlich eines 100.000 DM übersteigenden Schmerzensgeldbetrages gerichtete Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 190.000 Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheitsleistungen können auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Alleinerbin ihrer am 7.9.1988 geborenen und am 1.6.1998 verstorbenen Tochters F., der vormaligen Klägerin.
Die Klägerin brachte F. am späten Nachmittag des 15.8.1994 wegen außergewöhnlich heftiger Bauchschmerzen, die das Kind im Wechsel mit apathischen Zuständen immer wieder schrill aufschreien ließen, in die Notfallaufnahme der Klinik der Beklagten zu 1). Dort wurde F. von den Beklagten zu 2) bis 6) im Laufe des 15.8. und in der Nacht zum 16.8.1994 mehrfach äußerlich und einmal sonographisch untersucht. Festgestellt wurde ein stark geblähtes Abdomen unklarer Genese. Trotz fortdauernder Schmerzen und häufigen Erbrechens des Kindes sowie eines sich verschlechternden Allgemeinzustands sahen sich die Beklagten hingegen zunächst weder zu weiteren Untersuchungen (insb. radiologischen) noch zu einer Operation veranlasst. Am frühen Morgen des 16.8.1994 verschlechterte sich der Zustand von F. derart, dass intensivmedizinische lebensrettende Maßnahmen erforderlich wurden. Gegen 10 Uhr wurde sie in die neonatologische Abteilung verlegt, wo bei sehr schlechtem Allgemeinzustand des Kindes ein akutes Abdomen diagnostiziert und ein CT des Abdomens veranlasst wurde, das aber nicht zu einer Klärung der Ursache führte. Gegen 12 Uhr 30 wurde F. in die Chirurgie verlegt und operiert. Bei Eröffnung der Leibeshöhle fiel ein Riesenkonglomerat schwarzen Darmes vor. Dick- und Dünndarm waren infolge eines Darmverschlusses durch einen Volvulus in praktisch gesamter Länge irreversibel nekrotisch geschädigt und mussten bis auf einen kleinen Rest vollständig entfernt werden.
F. verblieb zunächst bis zum 16.12.1994 in der Behandlung der Beklagten zu 1). In dieser Zeit wurde eine weitere Operation erforderlich, um weitere Darmreste zu entfernen, und zwei weitere Operationen als Folge starker Magenblutungen. F. behielt hierdurch eine große Narbe vom Schambein bis zum Brustkorb sowie Narben am Hals zurück, ferner durch die Intubation Phonationsstörungen. Sie wurde zunächst nach Hause entlassen. Durch den nahezu vollständigen Verlust des Darmes war es für F. nicht mehr möglich, Nahrung auf normalem Weg aufzunehmen. Sie musste über einen implantierten Dauerkatheter, der zum Herzen führte, total parenteral ernährt werden. Dieser Katheder musste im Verlaufe der folgenden Jahre mehrfach operativ ersetzt werden. Die Infusionen erfolgten täglich über einen Zeitraum von 16 bis 22 Stunden. Sie wurden vorgenommen in einem eigens dafür hergerichteten Raum in der Wohnung der Klägerin, in dem absolut sterile Bedingungen hergestellt und aufrecht erhalten werden mussten. Zur Vermeidung eines ständigen Erbrechens von Stuhl und ätzenden Verdauungssäften musste F. mehrere Stunden des Tages und der Nacht auf einem Topf verbringen und ansonsten Windeln tragen. Nach jeder mit einer Narkose verbundenen Operation musste der Verdauungstrakt erneut entsprechend trainiert werden. Nach etwa anderthalb Jahren wurde versucht, zur Erhaltung des Schluckreflexes und zum Training des Verdauungstraktes F. geringfügige Mengen von Nahrung auf normalem Weg beizubringen, was allerdings nur in geringem Maße gelang, da der Körper dies letztlich nicht vertrug. Diese Lebensumstände machten den fast vollständigen Aufenthalt F.'s im Haus erforderlich. Lediglich kurze Ausfahrten waren in den Folgejahren in Phasen relativ stabiler Gesund...