Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrzeugkaufvertrag über ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug: Verjährung eines Schadenersatzanspruchs aufgrund vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung; Herausgabeanspruch nach Eintritt der Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine allgemeine Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal sowie von der konkreten Betroffenheit des Fahrzeugs eines Fahrzeugerwerbers im Besonderen umfasst alle für den Schluss auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung relevanten Tatsachen. (Rn. 24)
2. Hat ein Hersteller ausreichend schlüssig dargelegt, dass einem Fahrzeugerwerber im Jahr 2018 bekannt war, dass der Hersteller unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet hat, dass es deswegen zu Rückrufen durch das KBA gekommen ist und dass auch das Fahrzeug des Fahrzeugerwerbers hiervon betroffen ist, endete die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB mit Ablauf des 31. Dezember 2021. (Rn. 45)
3. Hat ein Händler ein Fahrzeug unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 S. 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2022, VIa ZR 281/22). (Rn. 50)
Normenkette
BGB §§ 31, 195, 199 Abs. 1, § 214 Abs. 1, § 823 Abs. 2, §§ 826, 852 S. 1
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 14.06.2022; Aktenzeichen 12 O 36/22) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 14.06.2022 - 12 O 36/22 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit der sog. Abgasproblematik geltend.
1. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um einen Audi Q5, Erstzulassung am 01.12.2015, mit der FIN .... In dem Fahrzeug ist ein 3.0 Liter V6 Turbodiesel-Motor verbaut, der unter die Euro-6-Norm fällt. Für das streitgegenständliche Fahrzeug lag ein verbindlicher Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vor. In dem diesem Rückruf zugrunde liegenden Bescheid ging das KBA davon aus, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kam. Das KBA ordnete an, alle Abschalteinrichtungen aus dem Emissionskontrollsystem entfernen zu lassen. Mit Bestätigung vom 26.11.2018 wurde für die Fahrzeuge des Typs Audi Q5 3.0 V6 TDI 190 kW (EU6) ein Software-Update freigegeben. Das Update wurde bei hiesigem Fahrzeug am 20.03.2019 aufgespielt.
Die Klägerin hat behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug am 21.08.2015 von einem gewerblichen Händler zu einem Kaufpreis in Höhe von EUR 69.000,00 mit einem Kilometerstand von 12 km erworben und am 26.07.2021 zu einem Verkaufspreis in Höhe von EUR 26.500,00 mit einem Kilometerstand von 63.478 km verkauft zu haben. Die Klägerin hat behauptet, dass die Beklagte mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug verbaut habe. Es komme eine Software zum Einsatz, die auf dem Prüfstand das Zusetzen von sog. "AdBlue" verringere (in den KBA-Bescheiden als Strategie D bezeichnet) und zudem die Abgasreinigung mittels AdBlue (weiter) herunterfahre, sobald das AdBlue zur Neige gehe (in den KBA-Bescheiden als Strategie E bezeichnet). Das Fahrzeug verfüge über Motoraufwärmfunktionen, die lediglich auf dem Prüfstand eine Reduzierung des Stickoxidausstoßes herbeiführten. Ferner werde die Abgasrückführung außerhalb eines Temperaturbereiches von 7 - 30 Grad reduziert. Das Software-Update sei nicht geeignet, die Gesetzeswidrigkeit zu beseitigen. Die Beklagte habe hierüber nicht nur die Genehmigungsbehörde, sondern auch die Kunden wie die Klägerin getäuscht. Diese habe dazu geführt, dass die Klägerin einen für sie wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen habe.
Die Klägerin hat mit ihrer am 07.02.2022 beim Landgericht eingegangenen und der Beklagten am 08.03.2022 zugestellten Klage beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe von EUR 26.500,00 an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 69.000,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung solle unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs Marke A. Fahrzeug-Identifizierungs-Nummer (FIN): ... erfolgen, die sich aus folgender Formel ergibt: Kaufpreis × (Kilometerstand zum Zeitpunkt des Verkaufs - Kilometerstand bei Kauf) / (in das Ermessen des Gerichts gestellte Gesamtlaufleistung - Kilometerstand bei Kauf); 2. die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe...