Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der Verwirkung des Ausbildungsunterhaltes bei langer Ausbildungsunterbrechung bzw. einer schweren Verfehlung des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsverpflichteten
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Anspruch des Unterhaltsberechtigten nach § 1610 Abs. 2 BGB auf Ausbildungsunterhalt steht die Verpflichtung des Unterhaltsberechtigten gegenüber, seine Ausbildung mit dem gehörigen Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit zu betreiben, damit sie innerhalb angemessener und üblicher Dauer beendet ist. Bei der dem Unterhaltsberechtigten zuzubilligenden Orientierungsphase ist die gesamte Persönlichkeitsstruktur des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen. Im Einzelfall kann daher ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt auch dann noch bestehen, wenn der Unterhaltsberechtigte nach Schulabbruch bis zur Aufnahme seiner Ausbildung mehr als 2 1/2 Jahre weitgehend tatenlos hat verstreichen lassen.
2. Einer schweren Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 BGB macht sich der Unterhaltsberechtigte dann schuldig, wenn er dem Unterhaltsverpflichteten einen nicht unerheblichen Schaden durch seine schuldhafte Pflichtverletzung zufügt, die darin besteht, dass der Unterhaltsberechtigte den Unterhaltsverpflichteten nicht über seinen Schulabbruch unterrichtet und dadurch erreicht, dass der Unterhaltsverpflichtete seine Unterhaltszahlungen nicht einstellt, obwohl er hierzu berechtigt wäre und bei pflichtgemäßer Unterrichtung eine solche Einstellung der Unterhaltszahlungen auch veranlasst hätte.
Verfahrensgang
AG Bonn (Urteil vom 12.09.2003; Aktenzeichen 42 F 49/03) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AG - FamG - Bonn vom 12.9.2003 - 42 F 49/03 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels und Klageabweisung im Übrigen teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab September 2003 laufenden Ausbildungsunterhalt i.H.v. monatlich 446 Euro zu zahlen und zwar rückständigen Unterhalt sofort und laufenden Unterhalt im Voraus bis zum jeweils 3. Werktag des laufenden Monats.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Bezüglich der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Auch im Berufungsverfahren streiten die Parteien im Wesentlichen darum, ob der Kläger seinen Unterhaltsanspruch zum einen dadurch verwirkt hat, dass er seine Ausbildung nach Auffassung des Beklagten nicht mit der notwendigen Zielstrebigkeit betreibe, wobei auch die Erfolgsaussicht der Berufsausbildung seiner Meinung nach wegen der fehlenden Geeignetheit des Klägers in Zweifel zu ziehen sei. Vor allem sei aber der Unterhaltsanspruch des Klägers deswegen verwirkt, weil dieser nach Abbruch seiner Schulausbildung im Januar 2000 noch ein Jahr lang bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres im Januar 2001 unberechtigterweise Unterhalt bezogen habe.
II. Die zulässige - insb. frist- und formgerecht eingelegte - Berufung des Klägers hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 16.3.2004 seine Berufung insoweit zurückgenommen hat, als er mit dieser die Verurteilung des Beklagten zu Unterhaltszahlungen für den Zeitraum August 2002 bis August 2003 erstrebt hat, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Zahlung von laufendem Unterhalt ab September 2003 i.H.v. 468 Euro monatlich. Begründet ist dieser Anspruch allerdings nur i.H.v. 446 Euro monatlich. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt gem. §§ 1601, 1602 Abs. 1, 1603, 1606, 1610, 1612, 1612b BGB ab September 2003 i.H.v. 446 Euro monatlich zu.
Der Beklagte ist leistungsfähig. Er ist dem Vortrag des Klägers zu seinem Nettoeinkommen von ca. 4.500 Euro monatlich nicht ernsthaft entgegengetreten. Von diesem Einkommen ist auszugehen. Im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit schuldet der Beklagte dem Kläger nach § 1610 Abs. 2 BGB eine optimale begabungsbezogene Berufsausbildung. Die Ausbildung des Klägers muss also seiner Begabung und seinen Fähigkeiten sowie seinem Leistungswillen sowie seinen beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen am besten entsprechen (so u.a. OLG Frankfurt v. 8.2.1994 - 4 UF 30/92, FamRZ 1994, 1611 m.w.N.). Dieser Pflicht des Beklagten steht andererseits die Verpflichtung des Klägers gegenüber, seine Ausbildung mit dem gehörigen Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit zu betreiben, damit sie innerhalb angemessener und üblicher Dauer beendet ist. Bei wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Beklagten besteht somit solange ein Anspruch des Klägers auf Ausbildungsunterhalt, wie dieser zielstrebig einer solchen Ausbildung nachgeht.
Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt entfällt nach Auffassung des Senates nicht deswegen, weil er gegen seine aus § 1610 Abs. 2 BGB folgende Verp...