Verfahrensgang
LG Aachen (Aktenzeichen 9 O 12/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29. Oktober 2020 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 12/20 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, über an die Klägerin 10.649,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 80% und die Beklagte zu 20%. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 56% und der Beklagten zu 44% auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache zu einem Teil Erfolg.
1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert Aus dem Gesamtgefüge der vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den früheren Versicherungsnehmern A und B ergibt sich, dass von den Vertragsparteien nicht lediglich eine Einziehung der sich aus den Versicherungsverträgen ergebenden Forderungen für die Zedenten beabsichtigt war, sondern die endgültige Übertragung der rechtlichen Inhaberschaft auf die Klägerin erfolgen sollte. Die Abtretungen sind wirksam; insbesondere liegt keine Nichtigkeit nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen die Vorschriften des RDG vor. Die Abtretungen sind auch nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig. Zur näheren Begründung und zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf seine den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten bekannten Urteile vom 2. Oktober 2020 (20 U 60/20) und vom 9. Oktober 2020 (20 U 35/20 sowie 20 U 105/20). Die dortigen Erwägungen gelten für den vorliegenden Fall entsprechend.
2. Vertrag Endz. -77 (VN A)
a) Der Vertrag ist nicht im Antragsmodell zustande gekommen, weil dem VN A die Anlage GW erst mit dem Versicherungsschein überlassen worden ist (Anlage K 1). Die Widerspruchsbelehrung in den "Wichtigen Hinweisen" (Anlage C 2) ist inhaltlich unzureichend (kein Hinweis darauf, dass der Widerspruch schriftlich erklärt werden muss; die fristauslösenden Unterlagen werden nicht vollständig genannt).
Besonders gravierende Umstände, die der Ausübung des Widerspruchs ausnahmsweise nach Treu und Glauben entgegenstehen könnten (vgl. BGH, Beschl. v. 11. November 2015, IV ZR 117/15, juris-, Rz. 16; Urt. v. 1. Juni 2016 - IV ZR 482/14 -, VersR 2017, 275, Rz. 24; Beschl. v. 27. September 2017 - IV ZR 506/15 -, NJW-RR 2018, 161), sind nicht ersichtlich. Dazu reicht alleine die längere Zeitspanne zwischen Vertragsschluss und Kündigung bzw. Widerspruchserklärung nicht aus (vgl. dazu Senat, Urt. v. 23. März 2018 - 20 U 108/17 -); bei längerem Zeitablauf werden die Anforderungen an das Vorliegen besonders gravierender Umstände auch nicht herabgesetzt (BGH, Beschl. v. 13. Januar 2021 - IV ZR 67/20 -, juris; auch nicht bei "besonders langer Zeit" zwischen Vertragsschluss und Widerspruch, so BGH, Beschl. v. 23. Juni 2021 - IV ZR 157/20 -, juris). Die von der Beklagten hierzu angeführten Gesichtspunkte (Widerspruch gegen Dynamikerhöhungen, Beitragsfreistellung) genügen nicht. Dass gilt auch, soweit die Beklagte vorträgt, der Versicherungsnehmer habe zuvor bereits 3 weitere Verträge mit ihr abgeschlossen (Anlage C 3). Zwar mag es im Rahmen einer Gesamtwürdigung denkbar sein, dem späteren Abschluss eines weiteren Vertrags Bedeutung für die Frage eines vertragsbestätigenden Verhaltens beizumessen. Allerdings kann dies nicht alleine entscheidend dafür sein, dem Versicherungsnehmer bei fehlerhafter Belehrung ein Widerspruchsrecht zu verweigern. Dazu müssen weitere, gravierende Umstände hinzutreten (so zutreffend OLG Karlsruhe, VersR 2020, 211), an denen es hier fehlt. Dass die Klägerin die an sie abgetretenen Ansprüche aus der Lebensversicherung gewerblich verwertet, steht der Berufung auf ein fortbestehendes Widerspruchsrecht schon deshalb nicht entgegen, weil nicht die Klägerin, sondern der frühere Versicherungsnehmer den Widerspruch erklärt hat. Der in seiner Person entstandene Rückabwicklungsanspruch kann nicht alleine deshalb entfallen, weil er diesen an einen Dritten abgetreten hat.
b) Die Rückabwicklung ist wie folgt vorzunehmen:
Die Prämienzahlungen sind mit einem Betrag von 102.245,97 EUR unstreitig.
Risikokosten setzt die Beklagte nicht an.
Bei einer kapitalbildenden Lebensversicherung ist es grundsätzlich zulässig, die Nutzungen aus dem Sparanteil im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) unter Zugrundelegung der von dem Versicherer erzielten Nettoverzinsung der Kapitalanlagen zu ermitteln. Soweit die Beklagte demgegenüber ein Abstellen auf die zehnjährige Null-Kupon-Euro-Swaprate für vorzugswürdig hält, übersieht sie, dass es insoweit bereits an dem erforderlichen Bezug zur Ertragslage der Beklagten fehlt. Auch ...