Leitsatz (amtlich)
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage eines Verbraucherverbands im Zusammenhang mit der Kündigung eines Stromlieferungsvertrages besteht, wenn der Kläger nicht das Verbot der Kündigung als solcher, sondern nur das Verbot einer aus seiner Sicht irreführenden Angabe zur Begründung der Kündigung begehrt.
2. Die getrennte Anspruchsverfolgung gegenüber dem Stromlieferanten und dem Unternehmen, das diesem als Beauftragter im Sinne des § 8 Abs. 2 UWG Stromlieferungsverträge vermittelt, stellt sich nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8c Abs. 2 Nr. 7 UWG dar, auch wenn sich im weiteren Verfahren die Beauftragtenhaftung des Vermittlers als unproblematisch erweist.
3. Die Äußerung von Rechtsansichten im Kündigungsschreiben ist nicht zur Irreführung im Sinne des § 5 Abs. 1 UWG geeignet, wenn für den Verbraucher erkennbar ist, dass die Äußerung im Rahmen der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erfolgt; dazu muss auch eine apodiktisch formulierte Äußerung nicht zwingend als Rechtsansicht gekennzeichnet sein.
Normenkette
UWG § 5 Abs. 1, § 8c Abs. 2 Nr. 7
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 84 O 34/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10.06.2022 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 84 O 34/22 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung iHv 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit iHv 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beklagte, die sich zur Vertragsdurchführung einer Vermittlungsfirma, der J. Energie GmbH (J.) bedient, ließ gegenüber einem Kunden eine Kündigung des Stromliefervertrags aussprechen, nachdem dieser einer mit "exorbitant gestiegenen Beschaffungskosten" begründeten Preiserhöhung unter Verweis auf die vertraglich vereinbarte und zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch laufende Preisgarantie widersprochen hatte. Das Kündigungsschreiben der J. (Anlage K6) enthält folgende auszugsweise wiedergegebene Äußerungen:
"(...) in den vergangen Tagen sind wir mit verschiedenen Anliegen auf Sie zugekommen. Hierbei hatten wir Ihnen dargestellt, dass es in der gegenwärtigen Situation leider unumgänglich ist, Ihre Energietarife auf die exorbitant gestiegenen Beschaffungskosten anzupassen. Auch über Änderungen der monatlichen Zahlbeträge hatten wir informiert.
Leider haben wir von Ihnen zu diesen Maßnahmen keine zustimmende Rückmeldung erhalten. Allerdings können wir ohne Ihre Zustimmung die Belieferung an Ihrer Versorgungsstelle nicht weiter fortführen und kündigen infolgedessen hiermit den Belieferungsvertrag mit Strom zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Unter Berücksichtigung der Marktregeln endet damit die Belieferung für Sie am 12.11.2021. (...)
Bitte beachten Sie: Ihre Versorgung ist jederzeit sichergestellt und es wird zu keinen Unterbrechungen in der Lieferung von Strom bei Ihnen kommen. Sofern Sie kein anderes Energieversorgungsunternehmen beauftragen, wird der örtliche Grundversorger nach dem 12.11.2021 die Belieferung mit Strom übernehmen."
Das Landgericht hat der Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel antragsgemäß untersagt,
I. an einen Verbraucher, der mit der Beklagten einen Vertrag über die Lieferung von Strom mit einer Mindestvertragslaufzeit und einer innerhalb dieser Mindestvertragslaufzeit vereinbarten "Preisgarantie" geschlossen hat, die eine Preissteigerung außerhalb von staatlich veranlassten Umständen ausschließt (Anlage K 2 des Urteils), durch einen Dritten eine E-Mail versenden zu lassen, wie geschehen gemäß E-Mail vom 08.11.2021 der Firma J.-Energie GmbH nach Anlage K 6 des Urteils, in der der Dritte unter Bezugnahme auf eine fehlende Zustimmung des Verbrauchers zur Preiserhöhung wegen "exorbitant gestiegener Beschaffungskosten" das Vertragsverhältnis unter Bezugnahme auf die Berücksichtigung von "Marktregeln" im Auftrag der Beklagten mit Wirkung von vier Tagen nach Versand der E-Mail nach Anlage K 6 des Urteils kündigt.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 243,51 zzgl. Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz hieraus seit dem 09.04.2022 zu bezahlen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Das Schreiben sei schon nicht geeignet gewesen, Verbraucher irrezuführen, wie die Reaktion des Kunden gezeigt habe.
Soweit das Landgericht sich auf § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG stütze, sei nicht begründet worden, woraus sich eine Machtposition der Beklagten ergebe. Eine unangemessene Beeinflussung setze weiter ein Verhalten des Unternehmers oder einen vom Unternehmer erzeugten Sachverhalt voraus, wodurch die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich eingeschränkt wird. Auch hierzu fehlt...