Leitsatz (amtlich)
Art. 8 Abs. 1 Buchst. b) und c) FluggastrechteVO gewährt dem Fluggast bei Annullierung eines Fluges aufgrund der Corona-Pandemie kein beliebiges, kostenfreies Umbuchungsrecht, das außerhalb jeden Zusammenhanges mit der ursprünglichen Reiseplanung steht.
Normenkette
FluggastrechteVO Art. 5, 8 Abs. 1 b), Abs. 1 c)
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 31 O 85/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 22.09.2020 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 85/20 -abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 08.05.2020 in der Gestalt des Urteils vom 22.09.2020 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Antragsteller auferlegt.
Gründe
I. Der Antragsteller, ein in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verein, nimmt die Antragsgegnerin, ein Luftfahrtunternehmen, nach Abmahnung auf Unterlassung in Anspruch. Die Antragsgegnerin hat wegen der Corona-Pandemie zwei für Ostern 2020 bzw. März 2020 gebuchte Flüge annulliert. Auf die Wünsche der Fluggäste I. und B. nach einer Umbuchung auf Dezember 2020 oder März 2021 bzw. auf Juli 2020 hatte sie zunächst in Telefonaten am 31.03.2020 bzw. am 05.04.2020 die Zahlung eines Aufpreises verlangt. Der Antragsteller sieht darin einen Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO). Das Landgericht hat am 08.05.2020 ohne Anhörung der Antragsgegnerin antragsgemäß eine Beschlussverfügung erlassen. Auf Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit Urteil vom 22.09.2020, auf das wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge Bezug genommen wird, die einstweilige Verfügung mit der Maßgabe einer Bezugnahme auf die beiden Telefonate als konkrete Verletzungsform aufrechterhalten.
Mit ihrer Berufung rügt die Antragsgegnerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit. Selbst dann, wenn ein Verfügungsanspruch bestehen sollte, hätte das Landgericht die Geltung der Unterlassungsverfügung zeitlich dahin begrenzen müssen, dass sie erst mit Zustellung des angefochtenen Urteils Wirksamkeit entfalte. Außerdem liege entgegen der Ansicht des Landgerichts kein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 a), Art. 8 Abs. 1 c) der FluggastrechteVO vor; die "vergleichbaren Reisebedingungen" erforderten einen Zusammenhang mit der ursprünglichen Reiseplanung, der bei den streitgegenständlichen Fällen nicht gegeben sei. Schließlich agiere die Antragstellerin nicht zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen. Bei dem Fall des Herrn B. handele sich ersichtlich um ein Versehen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 08.05.2020 in der Gestalt des Urteils vom 22.09.2020, Az. 31 O 85/20, aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II. Die zulässige Berufung ist begründet.
1. Ob der Vorwurf der Antragsgegnerin bezüglich der Verletzung des rechtlichen Gehörs und/oder des Grundsatzes der Waffengleichheit berechtigt ist, kann - nicht nur im Hinblick auf den Erfolg des Rechtsmittels - dahinstehen. Ein etwaiger Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist jedenfalls geheilt. Ein mit der Verletzung des rechtlichen Gehörs regelmäßig auch vorliegender eigenständiger Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, Art. 3 Abs. 1 GG, könnte im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht mehr gänzlich beseitigt werden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 18.04.2019, 15 U 204/18, Juris, Tz. 42, m.w.N.), auch nicht mit der von der Antragsgegnerin gewünschten "zeitlichen Modifikation". Zur Beseitigung einer etwaigen bewussten Grundrechtsverletzung ist allenfalls die Möglichkeit einer auf Feststellung gerichteten Verfassungsbeschwerde eröffnet.
Der Ansicht der Antragsgegnerin, dass selbst dann, wenn ein Verfügungsanspruch bestünde, die Beschlussverfügung aufgehoben und das Verbot erst ab Zustellung des Urteils erlassen werden dürfe, kann nicht beigetreten werden. Eine gesetzliche Grundlage für ein solches Vorgehen ist nicht erkennbar. Das Argument einer gewünschten Entlastung des Bundesverfassungsgerichts und/oder der Hinweis auf das Gemeinwohlinteresse tragen nicht. Die Verletzung prozessualer Verfahrensrechte durch das Gericht kann nicht die nachträgliche Verkürzung eines nach Heilung des Gehörsmangels als bestehend festgestellten Rechts zu Lasten des Antragstellers rechtfertigen. Soweit die Antragsgegnerin auf die einstweiligen Anordnungen des BVerfG vom 03.06.2020 (1 BvR 1246/20) und 17.06.2020 (1 BvR 1380/20) verweist sowie auf das Urteil des 15. Zivilsenats des OLG Köln vom 18.04.2019 (15 U 204/18), ist ihr entgegenzuhalten, dass es vorliegend nicht darum geht, eine unter Verletzung von Verfahrensgrundrechten einseitig erlassene Verfügung zunächst aufzuheben und ...