Leitsatz (amtlich)
1. Urheberpersönlichkeitsrechte schützen auch materielle Interessen des Urhebers, die von einem Dritten bei entsprechendem Interesse im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend gemacht werden können.
2. Eine Veröffentlichung im Sinne des § 6 Abs. 1 UrhG ist nicht anzunehmen, wenn ein Buch vorab allein einer Gruppe von Journalisten übergeben wurde, die sich vertraglich zur Unterlassung der Weitergabe verpflichtet haben.
3. Eine zulässige Berichterstattung über ein Tagesereignis im Sinne des § 50 UrhG liegt nicht vor, wenn wesentliche Inhalte eines Buches vor dem Erscheinungsdatum wörtlich öffentlich wiedergegeben werden.
Normenkette
UrhG § 6 Abs. 1, § 12 Abs. 1-2, § 50
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 14 O 77/19) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 13.08.2020 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 14 O 77/19 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin ist des Rechtsmittels der Berufung verlustig, nachdem sie diese zurückgenommen hat.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5. Die Kosten in erster Instanz tragen die Klägerin zu 79 % und die Beklagten zu 21 %.
4. Dieses Urteil und das genannte Urteil des Landgerichts Köln sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Frage, ob die Veröffentlichung von Auszügen aus einem Buch des Autors Thilo Sarrazin Schadensersatz- und weitere Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten begründet.
Die Klägerin ist eine Verlagsgruppe, die verschiedene weitere rechtlich unselbstständige Verlagshäuser als deren Rechtsträgerin (Imprints) vereint. Darunter befindet sich auch der H. Verlag.
Die Beklagte zu 1 ist ein Unternehmen der Mediengruppe C.. In ihrem Verlag erscheint das Nachrichtenmagazin G. Magazin. Darüber hinaus verantwortet sie die auf der Internetseite www.g...de erscheinenden Artikel des G.-Magazins. Der Beklagte zu 2 ist der Verfasser des dem Streit zugrundeliegenden Artikels "xxx Sarrazin yyy".
Zwischen der Klägerin und dem Autor Thilo Sarrazin besteht ein auf den 03.06.2018 und 07.07.2017 datierender Autorenvertrag mit dem Arbeitstitel "Zeitbombe Islam".
Der Vertrag enthält unter anderem folgende Regelungen:
"§ 2 Rechte Dritter
2.1 Der Autor versichert, dass das Werk noch nicht (auch nicht in wesentlichen Teilen) veröffentlicht wurde, dass er allein berechtigt ist, über die vertragsgegenständlichen Rechte an seinem Werk uneingeschränkt und frei von Rechten Dritter zu verfügen, [...]
§ 3 Rechtseinräumung
3.1 Der Autor räumt dem Verlag an dem Werk die räumlich, zeitlich und inhaltlich unbeschränkten, ausschließlichen Nutzungsrechte für alle bekannten und unbekannten Nutzungsarten ein. Die Rechtseinräumung erstreckt sich auf die Verwertung der Nutzungsrechte sowohl im eigenen Verlag als auch durch entgeltliche und unentgeltliche (auch teilweise) Vergabe von Rechten an Dritte sowie alle Ausgaben und Auflagen in allen Sprachen. Eine genauere Ausweisung der übertragenen Rechte findet sich in der Anlage.
Das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes in Hardcover-, Taschenbuch [...] sowie das Recht zur Aufnahme des Werkes oder von Teile darauf in Archive und Sammlungen [...] das Recht des ganzen oder teilweisen Vorabdrucks und Nachdrucks des Werkes [...] das Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung von Ausgaben oder Teilen davon [...]
§ 6 Manuskriptablieferung, Rücktritt, sonstige Rechte und Pflichten
6.2 Als spätester Lieferzeitpunkt für das vollständige und vervielfältigungsfähige Manuskript wird ein Tag nach Vertragsschluss vereinbart. Das Manuskript ist einschließlich etwa vorgesehener und vom Autor zu beschaffender Bildvorlagen den formalen und technischen Vorgaben des Verlags entsprechend in elektronischer Form zu übergeben. [...] Als Erscheinungstermin wird Ende August 2018 vereinbart [...]."
In der Anlage zu dem Vertrag heißt es unter 3.1. Rechtseinräumung:
3.1.1 Print- und Verlagsrechte
a. Das Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes in Hardcover-, Taschenbuch-, Reprint-, Schul-, Buchgemeinschaft [...] und sonstigen Buchausgaben [...].
c. Das Recht des ganzen oder teilweisen Vorabdrucks und Nachdrucks des Werkes, [...]
3.1.4. "das Recht, das Werk in allen vertragsgegenständlichen körperlichen Nutzungsarten zu veröffentlichen, gewerblich oder nichtgewerblich auszuleihen und/oder zu vermieten"
Auf den als Anlage vorgelegten Vertrag wird ergänzend Bezug genommen.
Vorprozessual erteilte der Autor Thilo Sarrazin der Klägerin folgende Ermächtigung:
"Hiermit ermächtige ich [...] zur gerichtlichen und außergerichtlichen Wahrnehmung sämtlicher aus der Verletzung meiner Urheberrechte an dem Werk "Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht" resultierender Rechte, einschließlich derjenigen aus der Verletzung des Rechts aus § 12 UrhG, im eigenen Namen (gewillkürte Prozessstandschaft)."
Die Klägerin hatte das Manuskript des Buches vor Ver...