Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationale Zuständigkeit und Erfüllungsort für Jahresrahmenliefervertrag. konkludente Parteivereinbarung zum Gerichtsstand. Schadensersatzanspruch aufgrund Nichterfüllung des Jahresrahmenliefervertrags bei verspätetem Vorbringen zum Kündigungsgrund. unbegründeter Schadensersatzanspruch bei fehlender Untersuchung der gelieferten Ware. unbegründeter Ausgleichsanspruch bei fehlender Einbindung in Absatzorganisation
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine von der nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO vermuteten Ausschließlichkeit des geregelten Gerichtsstands abweichende Parteivereinbarung, für die die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin obliegt, muss nicht ausdrücklich sondern kann auch konkludent getroffen werden.
2. Gegen die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands spricht insbesondere die gewählte Formulierung, dass jede Partei das Recht (und nicht etwa die Pflicht) hat, sich an das Prager Gericht zu wenden; unter Berücksichtigung der vorherigen Vereinbarung und dem von der Beklagten erstellten Entwurf eines Nachfolgevertrags ist darin eine von der Regelung eines ausschließlichen Gerichtsstands abweichende Parteivereinbarung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO zu sehen.
3. Hatte die Beklagte nicht erst aufgrund der vom Senat in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweise sondern bereits erstinstanzlich hinreichend Gelegenheit und Veranlassung zur Erwiderung auf das Vorbringen der Klägerin, weshalb die (angeblich) verspätete Bezahlung der zunächst genannten Rechnungen die fristlose Kündigung nicht rechtfertigen konnte, ist die einen Monat nach der mündlichen Verhandlung erstmals vorgelegte Forderungsaufstellung gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO als verspätet zurückzuweisen.
4. Die Käuferin muss gemäß Art. 38 Abs. 1 CISG die Ware innerhalb einer so kurzen Frist untersuchen (lassen), wie es die Umstände erlauben; die Bezugnahme auf die "Umstände" betrifft nicht nur den Zeitraum der Untersuchung sondern auch deren Art und Umfang.
5. Die Vereinbarung von Absatzzielen und/oder die Verpflichtung zur intensiven Bearbeitung des deutschen Marktes, welche auch ohne gesonderte Vereinbarung im eigenen Interessen der Käuferin liegen, reichen ohne nähere Einzelheiten zu der dabei einzuhaltenden Vorgehensweise und/oder damit verbundene Kontroll- oder Weisungsbefugnisse der Herstellerin nicht aus, um eine Einbindung in die Absatzorganisation der Herstellerin anzunehmen, die der Rechtsstellung eines Handelsvertreters entspricht.
Verfahrensgang
LG Köln (Entscheidung vom 01.09.2006; Aktenzeichen 16 O 726/05) |
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns und mangelhafter Warenlieferungen sowie die Herausgabe von Werkzeugen und macht einen Vertragshändlerausgleichsanspruch geltend.
Die Klägerin mit Sitz in X betreibt einen Handel mit Büroorganisationssystemen. Die Beklagte mit Sitz in der Tschechischen Republik stellt Archivierungsprodukte mit der Bezeichnung "Archiv-Solid-Board" her. Im Besitz der Beklagten befinden sich 14 Ausstanzwerkzeuge der Klägerin.
Die Parteien schlossen am 7./11.8.1997 einen als Liefervertrag bezeichneten Vertrag über die Herstellung von Archiv-Solid-Board-Produkten für Deutschland, Schweiz, Österreich und Benelux durch die Beklagte im Auftrag der Klägerin. In diesem Vertrag, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 167 ff. GA Bezug genommen wird, wurde als Erfüllungsort und Gerichtsstand Prag vereinbart.
Am 20.12.1999 schlossen die Parteien einen Jahresrahmenliefervertrag über die Lieferung von Archiv-Solid-Board-Produkten der Beklagten an die Klägerin. In diesem Vertrag, wegen dessen weiterer Einzelheiten auf Bl. 9/10 GA verwiesen wird, räumte die Beklagte der Klägerin die ausschließlichen Verkaufsrechte in Deutschland für diese Produkte ein, deren Lieferung nach ISO 9706 in einwandfreier Qualität, in geforderter Menge, zu konkurrenzfähigen Preisen und in der vereinbarten festgelegten Zeit erfolgen sollte. Als vertraglicher Standardumsatzwert wurde für das Jahr 2000 ein Mindestbetrag von 150.000,00 DM, für das Jahr 2001 von 200.000,00 DM und für das Jahr 2002 von 230.000,00 DM festgelegt. Als Zahlungsfrist wurde ein Zeitraum von 14 Tagen mit 2 % Skonto bzw. 30 Tagen nach Erhalt der Rechnung ohne Skonto vereinbart. Der Vertrag sah eine Befristung bis zum 31.12.2000 und eine Verlängerung um jeweils ein Jahr vor, sofern er nicht drei Monate zuvor schriftlich gekündigt wurde. Außerdem war ein sofortiges Kündigungsrecht "aus ernsten Gründen" vereinbart, zu denen u.a. eine Nichteinhaltung der Vereinbarung über die Bezahlung der Ware gehörte. Die sog. Präambel des Vertrags enthielt folgende Regelung: "Im Falle eines Streites bemühen sich beide Vertragsseiten eine Einigung zu erzielen. Wird diese nicht erreicht, hat jede Vertragsseite das Recht sich an das regionale Handelsgericht in Prag zu wenden." Nachdem die Klägerin sich geweigert hatte, einen von der Beklagten vorgeschlagenen Nachfolgevertrag abzuschließen, der u.a. eine abweic...