Entscheidungsstichwort (Thema)
Ginkgo-Kapseln
Leitsatz (amtlich)
1. Ist in einem Antrag auf Zulassung eines Extraktes als Arzneimittel unter Verzicht auf die Vorlage eigener klinischer Studien auf eine im Bundesanzeiger veröffentlichte Monographie verwiesen und so eine vereinfachte Zulassung i.S.v. § 22 Abs. 1 u. 3 Ziff. 1 AMG erreicht worden, müssen die in der Monographie beschriebenen charakteristischen Merkmale des Extraktes (hier: Ginkgolsäurewert 5 ppm) beachtet werden. Eine Nichtbeachtung dieser Merkmale (hier: Ginkgolsäurewert = 250 ppm) erfordert auch dann, wenn sich die wissenschaftlich herrschende Meinung seit der Erstellung der Monographie geändert hat, ein neues Zulassungsverfahren, eine Änderungsanzeige genügt nicht.
2. Die Vorschriften über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels haben Bezug zur Lauterkeit des Wettbewerbsverhaltens; ein Verstoß gegen diese Vorschriften kann zu einem Anspruch aus § 1 UWG führen.
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 27.11.2003; Aktenzeichen 31 O 362/03) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.11.2003 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des LG Köln - 31 O 362/03 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheitsleistung hinsichtlich des titulierten Unterlassungsanspruchs 150.000 Euro und im Übrigen 120 % des zu vollstreckenden Betrages.
Beiden Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts zu erbringen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Bei den Parteien handelt es sich um pharmazeutische Unternehmen, die sich mit der Herstellung pflanzlicher Arzneimittel befassen. Zu ihrem Sortiment zählen u.a. Präparate zur symptomatischen Behandlung hirnorganischer Störungen, die auf der Basis eines Extraktes aus getrockneten und mit Aceton-Wasser versetzten Ginkgo-biloba-Blättern in einem Droge-Extrakt-Verhältnis von 35-67:1 fabriziert werden.
Im Jahre 1994 veröffentlichte die Kommission E des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (im Folgenden nur noch als "BfArM" bezeichnet) eine Monographie, die für einen Trockenextrakt aus Ginkgo-biloba-Blättern der von den Parteien im Markt angebotenen Art einen Ginkgolsäuregehalt unter 5 ppm (= "parts per million") festlegt. Grund für diese Grenzwertfestlegung bildete die Annahme, die in Ginkgo-biloba-Blättern enthaltene Ginkgolsäure weise allergenes Potenzial auf. Ob das allerdings tatsächlich der Fall ist, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls erwirkte die Beklagte im Jahre 1996 unter Bezugnahme auf die vorerwähnte Monographie eine bezugnehmende Zulassung nach § 22 Abs. 1 und Abs. 3 Ziff. 1 AMG für ihre Arzneimittel "Ginkgo-Maren-Kapseln" und "Ginkgo-Maren-Tropfen", deren weiteren Vertrieb die Klägerin mit ihrer Klage für den Fall als wettbewerbsrechtlich unlauter i.S.d. § 1 UWG beanstandet, dass diese Fertigarzneimittel mit dem arzneilich wirksamen Bestandteil "Trockenextrakt aus Ginkgo-biloba-Blättern (35-67:1)" einen Ginkgolsäuregehalt von mehr als 5 ppm aufweisen.
Im Jahre 1997 leitete das BfArM ein sog.s Stufenplanverfahren ein. Es stellte sich auf den Standpunkt, nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sei die Toxizität der Ginkgolsäure zu vermuten, deshalb sei ihre Reduzierung auf ein Höchstmaß von 5 ppm erforderlich. Das BfArM beabsichtigte, erteilte Zulassungen für Arzneimittel mit einem höheren Ginkgolsäuregehalt zu widerrufen, nahm von diesem Vorhaben dann aber im Oktober 2001 Abstand. Es stellte das Stufenplanverfahren ein. Zuvor war ihm bekannt geworden, dass im Europäischen Bereich möglicherweise eine Reduzierung des Ginkgolsäuregehaltes auf lediglich 5 ppm für nicht erforderlich und angezeigt erachtet wurde. Der Widerruf einer Zulassung eines Arzneimittels mit einem höheren Ginkgolsäuregehalt als 5 ppm erfolgte nicht. Der Entwurf einer Monographie der Europäischen Kommission für Ginkgo-Trockenextrakt aus April 2000 sieht allerdings einen Grenzwert für den Ginkgolsäureanteil eines Trockenextraktes nicht vor. In den einzelnen Ländern der Europäischen Gemeinschaft ist umstritten, ob eine solche Beschränkung auf 5 ppm oder einen anderen Grenzwert sinnvoll oder gar erforderlich ist. Demgegenüber wies das Deutsche Arzneibuch im Jahre 2000 hinsichtlich der Reinheit eines eingestellten Ginkgo-Trockenextraktes einen Ginkgolsäuregehalt von maximal 5 ppm aus. In den späteren Bekanntmachungen im Deutschen Arzneibuch sind bis heute keine Änderungen ausgewiesen.
Nachdem das BfArM im Oktober 2001 das Stufenplanverfahren eingestellt und damit den beabsichtigten Widerruf erteilter Zulassungen nicht weiterverfolgt hatte, unterrichte die Beklagte das BfArM im Dezember 2001 darüber, dass sie ihre ...