Leitsatz (amtlich)
1. Eine "akute, unerwartete" Erkrankung im Sinne der Bedingungen einer Reisekrankenversicherung "Income" liegt vor, wenn die Erkrankung aus objektiver Sicht plötzlich und ohne zuvor erkennbare Anzeichen auftritt. Auch eine mit einer Vorerkrankung zusammenhängende, im Versicherungszeitraum auftretende Erkrankung ist zumindest dann objektiv unerwartet, wenn es sich nicht um eine zwingende Folge der Vorerkrankung handelt.
2. Die Behandlungsbedürftigkeit einer vor Reiseantritt bekannten Erkrankung im versicherten Zeitraum ist "absehbar" im Sinne der Bedingungen einer Reisekrankenversicherung "Income", sofern sie sich für den Versicherungsnehmer oder die versicherte Person aufgrund konkreter Kenntnisse über den vor Reiseantritt bestehenden Gesundheitszustand wenigstens als wahrscheinlich darstellt. Der Umstand, dass die versicherte Person vor Reiseantritt wegen Herzbeschwerden behandelt worden war, führt nicht ohne weiteres zur Vorhersehbarkeit einer Behandlung wegen eines neu auftretenden Herzinfarkts im versicherten Zeitraum.
Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 02.03.2009; Aktenzeichen 9 O 485/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 2.3.2009 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Bonn - 9 O 485/07 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 23.821,33 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 12.882,13 EUR seit dem 23.10.2007 und aus einem Betrag von 10.939,20 EUR seit dem 17.1.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, i.H.v. 164,69 EUR als derzeit unbegründet.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger schloss bei der beklagten Versicherung eine Reisekrankenversicherung "Income" für die Zeit vom 1.9.2007 bis 30.11.2007 zu einem Beitrag von 286 EUR unter Einbeziehung der Versicherungsbedingungen Reise-Versicherungen für Besucher der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: AVB; GA 7 f.) ab. Auszugsweise ist in den AVB folgendes geregelt:
§ 1 Ziff. 1.
Der B erbringt im Rahmen dieser Versicherungsbedingungen Versicherungsschutz bei akuter, unerwarteter Erkrankung, Verletzung und einem unerwarteten Todesfall ...
§ 1 Ziff. 2. a) Satz 1
Kein Versicherungsschutz besteht, wenn Sie oder Ihr Gast vor Reiseantritt wussten oder absehbar war, dass Ihrem Gast vor Reiseantritt bekannte Beschwerden, Erkrankungen oder Verletzungen während seiner Reise behandlungsbedürftig werden; der Ausschluss gilt auch für die Folgen einer solchen Behandlung (einschließlich Tod).
Versicherte Person war die am 29.9.1936 geborene, auf den S. lebende und mittlerweile verstorbene Schwiegermutter des Klägers, Frau F. U. Frau U. litt nach Angaben ihrer behandelnden Ärztin auf den S. im Wesentlichen an nicht insulinabhängigem Diabetes mellitus, Koronararterienerkrankung (Brustschmerzen, Angina), Herz-Rhythmus-Störungen, Hypertonie und Hyperurikämie. Ein am 1.6.2007, dem letzten Behandlungstermin vor Reisantritt, durchgeführtes EKG ergab einen alten inferioren Myokardinfarkt. Frau U. wurden Medikamente verordnet, wobei nach Einschätzung der Ärztin fraglich ist, ob sie diese auch tatsächlich eingenommen hat.
Frau U. reiste am 28.9.2007 nach Deutschland ein. Am 5.10.2007 erlitt sie einen Myokardinfarkt. Sie musste sich im Universitätsklinikum C. einer Bypassoperation unterziehen. Ihr Krankenhausaufenthalt im Universitätsklinikum C. und im Gemeinschaftskrankenhaus St. G., St. Q., St. K. in C. dauerte bis zum 14.11.2007 an. Sie befand sich des Weiteren im November/Dezember 2007 in ambulanter ärztlicher Behandlung in der HNO-Gemeinschaftspraxis Dres. E. sowie bei den Ärzten Dr. L. und Dres. T., H. und O. in C..
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung eines Betrages von insgesamt 24.147,53 EUR, der sich wie folgt zusammensetzt:
Universitätsklinikum C. (Rechnung v. 17.10.2007; GA 12 f.) |
12.932,13 EUR |
Gemeinschaftskh. C. (Rechnung v. 12.12.2007; GA 29 f.) |
10.626,12 EUR |
Dres. E. (2. Mahnung v. 3.1.2008; GA 25) |
164,69 EUR |
Dr. L. (Rechnung v. 28.12.2007; GA 26 f.) |
350,34 EUR |
Dres. T./H./O. (Rechnung v. 11.12.2007; GA 28) |
74,25 EUR |
Die Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 23.10.2007 die Erstattung der Rechnung des Universitätsklinikums C. mit der Begründung, es bestehe kein Versicherungsschutz, weil die Erkrankung bereits vor Reiseantritt bekannt und mit einer Behandlungsbedürftigkeit zu rechnen gewesen sei.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Erstattung der geltend gemachten Beträge verpflichtet. Dass Frau U. während des Besuchs in Deutschland einen Herzinfarkt erleiden werde, sei nicht absehba...