Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ infolge einer Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage ["transactie"] in den Niederlanden
Leitsatz (amtlich)
Die Sache wird gemäß Art. 35 Abs. 1 EUV in Verbindung mit § 1 Abs. 2 EuGHG dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt zur Entscheidung über folgende, Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19. Juni 1990 (SDÜ) betreffende Auslegungsfrage:
Tritt für die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 54 SDÜ Strafklageverbrauch ein, wenn nach niederländischem Recht wegen desselben Sachverhalts national die Strafklage verbraucht ist? Ist dies insbesondere auch der Fall, wenn eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Einstellung des Verfahrens nach Erfüllung von Auflagen (niederländische "transactie"), die nach dem Recht anderer Vertragsstaaten der richterlichen Zustimmung bedürfte, die Verfolgung vor einem niederländischen Gericht ausschließt?
Verfahrensgang
Gründe
A.
Der Senat hat die Frage zu entscheiden, ob der Verfolgung eines Angeklagten ein Verfahrenshindernis aus Artikel 54 SDÜ entgegensteht.
Der Angeklagte ist ein seit mehreren Jahren in den Niederlanden lebender türkischer Staatsangehöriger.
Die deutschen Strafverfolgungsbehörden wurden auf ihn durch die Verdachtsanzeige einer deutschen Bank vom 31. Januar 1996 aufmerksam. Anlass für die Anzeige war, dass auf dem Konto des Angeklagten größere Geldsummen bewegt wurden. Eine Nachfrage bei der niederländischen Polizei ergab, dass der Angeklagte seit dem 09. Februar 1994 in der niederländischen Stadt H. unter der Anschrift A. zunächst eine Imbissstube betrieben und diese alsbald unter der Bezeichnung "Coffee- und Teahouse S." fortgeführt hat, und dass bei einer Durchsuchung des "S." durch die niederländische Polizei am 12. Januar 1996 1 kg Haschisch, 1,5 kg Marihuana und 41 Haschischzigaretten ("Joints") und bei einer weiteren Durchsuchung am 11. Februar 1996 nochmals 56 g Haschisch, 200 g Marihuana und 10 Joints gefunden und beschlagnahmt worden sind.
Wegen dieser Taten wurde er am 15. März 1996 in Deutschland verhaftet.
Ausweislich des in amtlicher Übersetzung vorliegenden Ermittlungsberichts der niederländischen Polizeibehörden vom 05. März 1996 ist dem Angeklagten nach der Durchsuchung des von ihm geführten Coffee-Shops am 12. Januar 1996 seitens der Gemeinde H. mit einer am 21. Januar 1996 zugestellten Verfügung aufgegeben worden, den Handel mit Drogen einzustellen und innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung der Verfügung das Handeltreiben zu beenden. Nach Mitteilungen der niederländischen Staatsanwaltschaft vom 23. Mai und 18. Juni 1996 ist hinsichtlich des Vorfalls vom 12. Januar 1996 die strafrechtliche Verfolgung des Angeklagten in den Niederlanden beendet worden, nachdem er einen ihm von der niederländischen Staatsanwaltschaft zur Beendigung der Strafverfolgung angebotenen Vergleich angenommen und den von der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang geforderten Geldbetrag in Höhe von 3.000,00 Gulden gezahlt hat.
Ungeachtet dessen hat die Staatsanwaltschaft Aachen unter dem 01. Juli 1996 Anklage gegen ihn erhoben mit dem Vorwurf, in der Zeit vom 12. Januar bis 11. Februar 1996 in H./Niederlande u.a. Orten in mindestens zwei Fällen gewerbsmäßig mit Betäubungsmitteln, davon in einem Fall in nicht geringer Menge, Handel getrieben zu haben.
In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Aachen am 09. Januar 1997 hat der Verteidiger des Angeklagten einen Einzahlungsbeleg vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass der Angeklagte ebenfalls in Erfüllung eines von ihm akzeptierten staatsanwaltlichen Vergleiches den zur Beendigung der strafrechtlichen Verfolgung des Vorfalls vom 11. Februar 1996 geforderten Betrag in Höhe von 750,00 Gulden gezahlt hat.
Am 13. Januar 1997 hat das Amtsgericht Aachen den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Mit Beschluss vom selben Tage sind die gegen den Angeklagten ergangenen Haftentscheidungen aufgehoben worden.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 13. Januar 1997 haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Berufung eingelegt.
Mit Beschluss vom 27. August 1997 hat die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Aachen das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt, weil seiner Fortsetzung ein dauerndes Verfahrenshindernis nach Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz - das Verbot der Doppelverfolgung - entgegenstehe.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die rechtskräftige und vollständige Durchführung der Strafverfolgung durch die niederländisc...