Entscheidungsstichwort (Thema)

Dieselskandal: Keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Abschalteinrichtung im Daimler-Motor OM 651 im Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19

 

Leitsatz (amtlich)

1. Darlegung und Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Abschalteinrichtung oder für unrichtige oder arglistig unvollständige Angaben im Typgenehmigungsverfahren müssen grundsätzlich auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Motor gerichtet sein.

2. Welche konkrete Abschalteinrichtung Gegenstand des Verwaltungsverfahrens zum Motor OM 651 sein soll, wäre klägerseits konkret vorzutragen gewesen. Eine diesbezügliche sekundäre Darlegungs- oder gar Vorlagelast der Beklagten besteht mangels hinreichender Anhaltspunkte dafür, dass Gegenstand dieses Verfahrens nicht nur eine - nach nunmehriger Auffassung des KBA - einfach-rechtlich unzulässige, sondern darüber hinaus auch sittenwidrige Abschalteinrichtung i.S.d. Rspr. des BGH ist, nicht.

3. Auch für angeblich konkret unrichtige oder arglistig unvollständige Angaben im Typgenehmigungsverfahren sind hinreichende Anhaltspunkte erforderlich, ansonsten besteht auch insoweit keine sekundäre Darlegungslast. Selbst wenn die Beklagte insoweit verwaltungsrechtlich weitere Angaben zum Abgasrückführungssystem hätte machen müssen, ginge es zivilrechtlich nicht an, dies ohne weiteres mit konkreten Falschangaben gleichzusetzen. Denn zivilrechtlich kommt eine arglistige Täuschung durch Verschweigen nur in Betracht, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht besteht. Für Arglist muss der Handelnde außerdem die Unvollständigkeit seiner Angaben und seine Rechtspflicht zur Aufklärung kennen oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Dafür ist hier nichts ersichtlich.

4. Selbst aus einer sekundären Darlegungslast würde sich noch keine "sekundäre Vorlagelast" oder gar eine "sekundäre Beweislast" der Beklagten ergeben.

5. Die Anordnung der Vorlage von Urkunden kann allenfalls auf § 142 ZPO gestützt werden. Auch § 142 ZPO ermöglicht aber keine Amtsaufklärung. § 142 Abs. 1 ZPO befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast. Dementsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags anordnen.

6. Die Beweislast bleibt im Übrigen in jedem Falle beim Anspruchsteller. Das gilt auch für die Erholung amtlicher Auskünfte - z.B. des KBA - gem. § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Auch § 273 ZPO gibt dem Gericht keine Befugnis zur Amtsaufklärung. Zulässig sind demnach im Grundsatz nur solche Vorbereitungsmaßnahmen, die im Vorbringen der Parteien eine Grundlage finden und, soweit sie auf die Beibringung von Beweismitteln abzielen, die für die entsprechenden Beweiserhebungen geltenden Vorschriften der ZPO beachten.

7. Zur kaufrechtlichen Gewährleistung, soweit die Beklagte auch Verkäuferin des Kfz war.

 

Normenkette

BGB §§ 326, 440, 826; ZPO §§ 139, 142, 273

 

Verfahrensgang

LG München II (Urteil vom 16.06.2020; Aktenzeichen 8 O 153/20)

 

Nachgehend

OLG München (Beschluss vom 08.04.2021; Aktenzeichen 8 U 4122/20)

 

Tenor

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Klagepartei erhält Gelegenheit, sich zu I. bis zum 01.04.2021 zu äußern. Dabei wird der Klagepartei gemäß § 139 Abs. 1 S. 3 ZPO aufgegeben, ihre Stellungnahme entsprechend dem Hinweis des Senats zu gliedern. Ansonsten gelten die allgemeinen Präklusionsvorschriften (BT-Drs. 19/13828 S. 31).

III. Binnen derselben Frist können sich alle Beteiligten auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens äußern, den der Senat beabsichtigt, auf bis zu 25.000 EUR festzusetzen.

 

Gründe

I. Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal geltend.

Den Feststellungen des Landgerichts zufolge erwarb die Klägerin von der Beklagten am 19.09.2018 einen Pkw Mercedes Benz C 250 Blue zu einem Kaufpreis von 26.802,00 Euro als Gebrauchtwagen mit einer damaligen Laufleistung von 24.186 km. Zum 11.05.20 hat der Kilometerstand 62.790 km betragen. Im Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter Motor OM 651 und ein SCR-Katalysator (sogenannte Blue Tec-Technology) verbaut.

Die Klägerin behauptet, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine sog. Abschalteinrichtung verbaut, die zu einer Manipulation des Abgasausstoßes auf Abgasprüfungsanlagen führe. Sie ist der Auffassung, sowohl aus kaufvertraglichen Gesichtspunkten als auch auf Grund deliktischer Ansprüche eine Rückabwicklung des geschlossenen Kaufvertrags verlangen zu können.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass weder ein Sachmangel am Fahrzeug festzustellen sei, noch ein konkreter Schaden der Klägerin vorgetragen werde. Im übrigen berufe sich die Beklagte auf die Einrede der Verjährung.

Mit ihrer Klage begehrt die Klagepartei zuletzt Zahlung von 23...

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