Entscheidungsstichwort (Thema)

Dieselskandal und haftungsausfüllende Kausalität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wenn ein Autokäufer zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs Kenntnis davon gehabt hat, dass in seinem Fahrzeug eine Manipulationssoftware verbaut gewesen ist, entfällt zwangsläufig die Kausalität einer unerlaubten Handlung für den Kaufentschluss und damit für den behaupteten Schaden.

2. Den Käufer trifft eine sekundäre Darlegungslast zu seinem Kenntnisstand zur Zeit des Kaufs von dem "Dieselskandal" allgemein und zur Betroffenheit des gekauften Fahrzeugs im Besonderen. Kommt ein Käufer dieser sekundären Darlegungslast trotz Hinweis des Gerichts nicht nach, ist das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe zur Zeit des Kaufs Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs von dem Dieselskandal gehabt, gem. § 138 ZPO als zugestanden zu behandeln.

3. Außerdem kann das Gericht in diesen Fällen gem. § 142 ZPO anordnen, dass der Autokäufer innerhalb einer Frist den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug vollständig in beglaubigter Abschrift vorlegt. Eine Weigerung des Käufers, den Kaufvertrag vorzulegen, kann das Gericht gem. §§ 286, 427 ZPO frei würdigen.

4. Der Ersatz eines angeblichen "Minderwerts" kommt nach der Differenzhypothese nur in Betracht, wenn der Geschädigte nachweist, dass er ohne die unerlaubte Handlung einen anderen, günstigeren Vertrag - mit dem Verkäufer oder einem Dritten - abgeschlossen hätte.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 826; ZPO §§ 138, 142, 286, 427, 522 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 23.08.2019; Aktenzeichen 29 O 17363/18)

 

Nachgehend

OLG München (Beschluss vom 28.01.2020; Aktenzeichen 8 U 5307/19)

 

Tenor

1. Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23.08.2019, Az. 29 O 17363/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 25.01.2020.

3. Innerhalb dieser Frist können sich die Parteien auch zum Streitwert äußern, den der Senat beabsichtigt auf bis zu 10.000,- EUR festzusetzen.

 

Gründe

I. Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche nach einem PKW-Kauf in Zusammenhang mit dem sog. "VW-Abgasskandal" geltend. Die Klagepartei kaufte am 13.09.2016 beim A. Zentrum M. ein Fahrzeug der Marke Audi Q3, 2.0 TDI zu einem Kaufpreis in Höhe von 26.447,00 EUR mit einem Kilometerstand von 18.034 km. Die Beklagte ist Herstellerin des Motors Typ EA 189 des streitgegenständlichen Pkw.

II. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung im Ergebnis offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

1. Die Entscheidung des Landgerichts erscheint zumindest im Ergebnis offensichtlich zutreffend. Die hiergegen von der Berufung erhobenen Einwendung greifen im Ergebnis nicht durch:

a) Zwar enthält - bzw. enthielt jedenfalls bis zu einem etwaigen Update - der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute, von der Beklagten hergestellte Motor des Typs EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 - VIII ZR 225/17 - Rn. 13, zum selben Motor). Wegen des Einsatzes einer derartigen "Manipulationssoftware" kommt mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV in Betracht (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 - 13 U 142/18; OLG Köln, Beschluss vom 3.1.2019 - 18 U 70/18, je zum selben Motor). Das kann aber hier alles dahinstehen, da der Kläger seiner diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast trotz Hinweis des Senats nicht genügt hat:

b) Zu seinem Schaden behauptet der Kläger hier, er hätte vom Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs abgesehen, wenn er von der darin verbauten Manipulationssoftware Kenntnis gehabt hätte (Klageschrift S. 28 unten). Der klägerseits geltend gemachte Schaden liegt somit - ähnlich wie in den Kapitalanlagefällen (vgl. dazu z.B. BGH vom 12.05.2009, Gz. XI ZR 586/07, Rz. 22) - bereits im Erwerb des Fahrzeugs und der Belastung mit der Kaufpreisverbindlichkeit (vgl. z.B. OLG Köln, Beschluss vom 3.1.19, Gz. 18 U 70/18).

Für eine deliktische Haftung der Beklagten trägt der Kläger grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 218/03). Das gilt somit grundsätzlich auch für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und behauptetem Schaden (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 78. A. 2019, vor § 249 Rz. 24). Die Frage, wie sich ein Anspruchsteller bei korrekter Aufklärung verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die ...

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