Leitsatz (amtlich)
1. Die Auslegung von Individualverträgen durch den Tatrichter kann vom Gericht der weiteren Beschwerde grundsätzlich nur darauf geprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht; zu den anerkannten Auslegungsregeln gehört insbesondere die Berücksichtigung des mit der Absprache verfolgten Zwecks und der Interessenlage der Parteien.
2. Enthält ein Wohnungseigentumskaufvertrag entgegen der Teilungserklärung die Bestimmung, dass der Käufer die Durchführung von baulichen Maßnahmen duldet und diesen hiermit zustimmt, so enthält dieser Vertrag bei interessengerechter Auslegung regelmäßig ein "pactum de non petendo", das Anträge (bzw. Klagen) auf Beseitigung des durch diese Maßnahmen bestimmungsgemäß zustande gekommenen Zustandes und auf Feststellung der Rechtwidrigkeit eines solchen Zustandes unzulässig macht. Die vertragliche Duldungspflicht und das "pactum de non petendo" wirken regelmäßig auch zugunsten des jeweiligen Eigentümers der Wohnung.
Normenkette
BGB §§ 157, 328 Abs. 1; FGG § 27 Abs. 1 S. 2; ZPO § 546
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 18.03.2009; Aktenzeichen 14 T 6378/08) |
AG Nürnberg (Beschluss vom 07.07.2008; Aktenzeichen 1 URII 268/07WEG) |
Tenor
I. Auf die sofortige weitere Beschwerde wird der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 18.3.2009 mit Ausnahme der Geschäftswertfestsetzung aufgehoben.
II. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des AG Nürnberg vom 7.7.2008 wird zurückgewiesen.
III. Die Antragsteller tragen die Gerichtskosten des Verfahrens in allen drei Instanzen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
IV. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsteller und die Antragsgegnerin sind Mitglieder der verfahrensgegenständlichen Wohnungseigentümergemeinschaft, deren Anwesen aus einem Vorder- und einem Hinterhaus besteht. Das Sondereigentum der Antragsteller liegt im ersten Stock des Vorderhauses und geht mit einem Balkon zum Innenhof hinaus, so dass der Balkon der Antragsteller direkt ggü. dem Hinterhaus liegt. Ursprüngliche Eigentümerin des gesamten Anwesens war die Antragsgegnerin, die nach Errichtung der Teilungserklärung das gesamte Anwesen in eine GmbH & Co. KG einbrachte. In der Teilungserklärung vom 12.12.2002 wurde die Antragsgegnerin zur ersten Verwalterin der WEG berufen. Hierin heißt es unter § 1 Abs. 6:
"Kein Sondereigentümer darf die äußere Gestalt der Gebäude und ihrer im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Bestandteile ... verändern."
Die Antragsgegnerin erteilte im Laufe des Jahres 2004 sich selbst gegenüber mündlich die Zustimmung zur Anbringung der Balkone. In der Folgezeit wurde am Rückgebäude ein Balkon auch im Dachgeschoss (= 2. OG) angebaut und zwar derart, dass dieser Balkon in kurzer Entfernung oberhalb des Balkons der Antragsteller, direkt gegenüber, liegt; Eigentümerin dieser Wohnung ist die Antragsgegnerin.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 12.12.2003 erwarben die Antragsteller von der GmbH & Co. KG ihren Miteigentumsanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an der genannten Wohnung im Vorderhaus, 1. OG. Die Eintragung im Grundbuch ist erfolgt. In Ziff. XI. (2) des Kaufvertrages heißt es u.a.:
"Dem Erwerber ist bekannt, dass das Anwesen ... in Nürnberg umfassend renoviert und saniert wird ... Im Rahmen dieser Baumaßnahmen werden Balkone angebaut und eine Dachterrasse erstellt. Der Erwerber duldet die Durchführung dieser Maßnahmen und stimmt diesen hiermit zu. Der Verwalter wird hiermit ermächtigt und unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB bevollmächtigt etwa erforderlichen Um- und Ausbauplänen zuzustimmen."
Am 22.6.2007 schlossen die Parteien einen notariellen Vertrag, in dem die Parteien ihre unterschiedlichen Auffassungen über die Rechtmäßigkeit der Anbringung des Balkons im Dachgeschoss des Hinterhauses zum Ausdruck brachten. Auszugsweise heißt es dort unter 11.2:
"... soweit das Wohnungseigentumsgericht feststellt, dass die Baugenehmigung für die Balkone im zweiten Obergeschoss rechtswidrig ist bzw. dass die Balkone wohnungseigentumsrechtlich nicht zulässig sind und zu entfernen wären, verpflichtet sich [die Antragsgegnerin] an die [Antragsteller] eine Entschädigung i.H.v. 10.000 EUR zu bezahlen und zwar innerhalb von 10 Wochen nach Rechtskraft des vorgenannten Urteils. Die Antragsteller verpflichten sich hiermit, die streitgegenständlichen Balkone in jedem Fall zu dulden und sind in keinem Fall berechtigt, eine Entfernung des Balkons zu verlangen. Dies gilt unabhängig von einer etwaigen anders lautenden gerichtlichen Entscheidung ..."
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge wird auf die Darstellung im angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Das AG wies die Anträge mit Beschluss vom 7.7....