Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährungsbeginn in Dieselskandalfällen

 

Leitsatz (amtlich)

In Dieselskandalfällen besteht die Besonderheit, dass der individuelle Verjährungsbeginn, d.h. der Zeitpunkt der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners, § 199 Abs. 1 BGB, regelmäßig mit dem unstreitigen Zeitpunkt des allgemeinen Bekanntwerdens des "Dieselskandals" übereinstimmt. Denn über die vorgeworfene Täuschung wurde ab Herbst 2015 umfassend in sämtlichen Medien berichtet. Dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzerns hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte, ihm jedenfalls nicht grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorzuwerfen wäre, ist nicht vorstellbar.

 

Normenkette

BGB § 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 522 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Deggendorf (Urteil vom 28.11.2019; Aktenzeichen 33 O 231/19)

 

Nachgehend

OLG München (Beschluss vom 10.03.2020; Aktenzeichen 3 U 7392/19)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 3.300 EUR festzusetzen.

2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 28.11.2019, Az. 33 O 231/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 06.03.2020.

 

Gründe

Zu 1: Die in der Berufungsbegründung gestellten Anträge berücksichtigen die mit Schriftsatz vom 20.09.2019 infolge Verkaufs des streitgegenständlichen Fahrzeugs eingetretenen Änderungen nicht. Das nunmehrige wirtschaftliche Interesse der Klagepartei richtet sich im Hauptantrag nur noch auf den zuzusprechenden Betrag von 3.300 EUR.

Zu 2: Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Landgericht die Klage ohne Rechtsfehler wegen Verjährung abgewiesen.

Zwar weist die Berufung zutreffend darauf hin, dass grundsätzlich diejenige Partei, die sich auf Verjährung beruft, die Voraussetzungen für den Verjährungseintritt darzulegen und zu beweisen hat. Dies kann der Berufung allerdings selbst dann, wenn ihr Vortrag zuträfe, dass die Beklagte vorliegend nichts Substanzielles zur Begründung ihrer Einrede vorgebracht habe, nicht zum Erfolg verhelfen.

Denn vorliegend besteht die Besonderheit, dass der individuelle Verjährungsbeginn, d.h. der Zeitpunkt der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners, § 199 Abs. 1 BGB, regelmäßig mit dem unstreitigen Zeitpunkt des allgemeinen Bekanntwerdens des "Dieselskandals" übereinstimmt. Denn über die der Beklagten vorgeworfene Täuschung wurde ab Herbst 2015 umfassend in sämtlichen Medien berichtet. Dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzerns hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte, ihm jedenfalls nicht grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorzuwerfen wäre, ist nicht vorstellbar.

Begann die Verjährungsfrist danach bereits mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen, endete sie mit Ablauf des Jahres 2018, so dass die danach erfolgte Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren und erhobene Klage die Verjährung nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen konnte.

Zur näheren Erläuterung ist noch auszuführen.

Sollte ein deliktischer Anspruch entstanden sein, wie dies von Teilen der Rechtsprechung, auch obergerichtlicher, bejaht wird, kann die Beklagte einem entsprechenden deliktischen Anspruch des Klägers jedenfalls mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegenhalten (§ 214 Abs. 1 BGB).

Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Dies gilt auch für Ansprüche aus § 826 BGB (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15.11.2011, XI ZR 54/09). Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person des Schuldners hat oder diese Kenntnis infolge grober Fahrlässigkeit nicht hat. Nach ständiger BGH-Rechtsprechung liegt die erforderliche Kenntnis in Fällen wie hier im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist. Weder ist es notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es, abgesehen von Ausnahmefällen, nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an (vgl. BGH, Urtei...

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