Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgebliches Kriterium für das Erreichen einer von den Eltern selbständigen Lebensstellung ist nicht das Alter, sondern die konkreten Lebensumstände des unterhaltsbegehrenden volljährigen Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

Ob eine Partei eine von den Eltern selbständige Lebensstellung erreicht hat, ist keine Frage des Alters, sondern der konkreten Lebensumstände. Auch eine 38-jährige Studentin, deren Studienabschluss sich krankheitsbedingt immer wieder verzögert hat, kann gegen ihre Eltern einen der Prozesskostenhilfe vorgehenden Anspruch auf Prozesskostenvorschuss haben.

 

Normenkette

BGB § 1610 Abs. 2; ZPO § 115 Abs. 1 S. 1, § 115 S. 2

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 03.07.2006; Aktenzeichen 9 O 452/05)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des LG München I vom 3.7.2006 - 9 O 452/05 - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht im Zusammenhang mit einer im Krankenhaus M./B. vom Beklagten zu 1) am 5.5.1988 durchgeführten bzw. geleiteten operativen Beinverlängerung Schmerzensgeld in kapitalisierter Form und als monatliche Rente geltend und verlangt außerdem die Feststellung der Ersatzpflicht für alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden. Die Beklagte zu 2) wird als Trägerin des Krankenhauses in Anspruch genommen. Mit Schriftsatz vom 5.6.2006 stellte die Klägerin für die am 30.12.2005 erhobene Klage Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dem das LG mit Beschluss vom 30.5.2005 stattgab, soweit die Klägerin 25.000 EUR Schmerzensgeld, eine monatliche Rente von 250 EUR und Feststellung begehrt. Für die darüber hinausgehenden Klageanträge lehnte das LG den Antrag auf Prozesskostenhilfe ab. Mit Schriftsatz vom 1.6.2006 legte die Klägerin den Entwurf einer Klageerweiterung vor, verbunden mit dem Antrag, auch für diese Ansprüche Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Mit Schreiben vom 7.6.2006 legte der Bezirksrevisor sofortige Beschwerde gegen die teilweise Bewilligung von Prozesskostenhilfe ein, während sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.6.2006 gegen die teilweise Ablehnung der Prozesskostenhilfe im Beschluss des LG vom 30.5.2006 wandte. Mit Beschluss vom 3.7.2006 gab das LG der Beschwerde des Bezirksrevisors statt und lehnte für sämtliche Klageanträge Prozesskostenhilfe ab unter Hinweis auf einen vorrangigen Prozesskostenvorschussanspruch der Klägerin gegen ihre Eltern. Gegen diesen, am 7.7.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 21.7.2006, der das LG mit Beschluss vom 8.8.2006 nicht abgeholfen hat.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet, da das LG zu Recht Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit der Klägerin versagt hat.

Nach § 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO hat eine Partei für die Prozesskosten zunächst alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert einzusetzen, wozu nach einhelliger Auffassung der Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegenüber Unterhaltspflichtigen gehört (BGH v. 4.8.2004 - XII ZA 6/04, BGHReport 2005, 26 = MDR 2005, 94 = FamRZ 2004, 1633). Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern unterliegt keinen Altersgrenzen. Sie beginnt mit der Geburt des Kindes und dauert grundsätzlich lebenslang fort, solange das Kind bedürftig und die Eltern leistungsfähig sind. Auch ein volljähriges Kind hat Anspruch auf Unterhalt, solange es sich noch in der Ausbildung befindet. In entsprechender Anwendung des § 1360a BGB hat die Rechtsprechung einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für die Kosten eines Rechtsstreits in wichtigen persönlichen Angelegenheiten gegen die Eltern bejaht, wenn sich das volljährige Kind noch in der Ausbildung befindet und noch keine selbständige Lebensstellung erreicht hat (BGH a. a. O). Nach Abschluss der Ausbildung endet der Unterhaltsanspruch regelmäßig, da das Kind damit selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann und nicht mehr bedürftig ist. An die Erwerbsobliegenheiten eines volljährigen Kindes werden hohe Anforderungen gestellt. Ein Erwachsener muss grundsätzlich selbst für seinen Lebensbedarf aufkommen und ggf. auch mittels berufsfremder oder einfachster Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt verdienen (BGH v. 6.12.1984 - IVb ZR 53/83, MDR 1985, 391 = FamRZ 1985, 273). Ausnahmsweise kann jedoch der Unterhaltsanspruch fortbestehen oder sogar wieder aufleben, wenn es dem volljährigen Kind - beispielsweise durch Krankheit oder Behinderung - schlicht unmöglich ist, durch Arbeitsaufnahme für sich zu sorgen (Born in Münchner Kommentar, BGB, Rz. 9, 14 und 28 zu § 1610; Luthin, Handbuch des Unterhaltsrechts, 10. Aufl., S. 213 m.w.N.).

Nach den dargelegten Kriterien hat die Klägerin gegen ihre Eltern einen der Prozesskostenhilfe vorgehenden Anspruch auf Prozesskostenvorschuss.

1. Gegenstand der Klage sind weitreichende Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen Verletzung der Gesundheit im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung. Dass die Klägerin mit dem Verfahren eine für sie außerordentlich wichtige persönliche Angelegenheit v...

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