Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Hinweispflicht des Sachverständigen gemäß § 407a Abs. 4 ZPO und die in § 8a Abs. 3 JVEG vorgesehenen Folgen eines Verstoßes dagegen gelten auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, etwa in Kindschaftssachen. Soweit der Anwendungsbereich von § 407a Abs. 4 ZPO eröffnet ist, sieht das Gesetz diesbezüglich eine Differenzierung nicht vor (wie OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.06.2021 - 18 W 86/21).
Normenkette
FamFG § 30 Abs. 1; JVEG § 8a Abs. 3; ZPO § 404a Abs. 3, § 407a Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
AG München (Aktenzeichen 526 F 4146/21) |
Tenor
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Auf Anregung des Sozialreferats der Stadt M. legte das Amtsgericht am 29.04.2021 ein Verfahren zur Erörterung einer Kindeswohlgefährdung an (§ 157 FamFG); Hintergrund war ein offensichtlich eskalierter Konflikt zwischen den Eltern, bei dem es um Ausübung häuslicher Gewalt in Anwesenheit der Kinder, Streit hinsichtlich Unterhaltszahlungen sowie bezüglich der Umgangsregelung ging.
Das Gericht erließ am 26.05.2021 einen Beweisbeschluss, wonach ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten zu erholen ist. In Ziffer 6. dieses Beschlusses, auf den hinsichtlich der vom Gericht vorgegebenen Einzelheiten der Begutachtung Bezug genommen wird, ordnete das Gericht eine Kostengrenze in Höhe von EUR 3.000,00 an. Ebenfalls in Ziffer 6. heißt es: "Falls diese Grenze nicht einzuhalten ist, wird aufgegeben, das Gericht hiervon vorab zu benachrichtigen". Mit der Begutachtung wurde der Diplom-Psychologe T. S. von der GWG beauftragt. Dieser erstellte in der Folgezeit sein Gutachten und legte es dem Gericht mit Schreiben vom 09.12.2021 vor; das Gutachten vom 08.12.2021 befasst sich ausführlich mit den vom Gericht gestellten Fragen und umfasst 134 Seiten.
Mit Schreiben vom 21.12.2021 wies der Gutachter darauf hin, wegen des außerordentlich hohen Aufwandes, der sich aus den Erfordernissen der Begutachtung ergeben habe, würden die Kosten sehr deutlich über dem gesetzten Kostenrahmen von 3.000,00 EUR liegen; auf die nähere Begründung wird Bezug genommen. Das Amtsgericht erließ hierauf am 28.12.2021 einen Beschluss, wonach der Beweisbeschluss vom 26.05.2021 in Ziffer 6. dahingehend modifiziert wird, dass die Kostengrenze "entsprechend des Schriftsatzes des Sachverständigen", auf 10.500,00 EUR erhöht wird. Am 01.06.2022 nahm die zur Frage der Höhe der Sachverständigenvergütung angehörte Bezirksrevisorin zur Überschreitung der Kostengrenze Stellung: Sie verwies darauf, ein Sachverständiger habe gemäß § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO rechtzeitig auf eine erhebliche Überschreitung des Auslagenvorschusses - hier der Kostengrenze - hinzuweisen. Bei einem Verstoß richteten sich die Folgen nach § 8a Abs. 4 JVEG. Vorliegend hätten die Kosten die ursprünglich gesetzte Grenze erheblich, nämlich um 350 %, überschritten. Ein rechtzeitiger Hinweis des Sachverständigen, also ein solcher vor Entstehung der Kosten, sei nicht erfolgt. Angesichts des Zeitraums der Gutachtenserstellung, nämlich ca. 4 1/2 Monate, sei eine rechtzeitige vorherige Mitteilung über die voraussichtlichen Kosten in jedem Falle möglich gewesen. Namens der Staatskasse beantrage sie die Festsetzung der Vergütung auf EUR 3.000,00. Hierauf erließ das Amtsgericht München am 01.08.2022 einen Beschluss, wonach der Beschluss vom 28.12.2021 (Erhöhung der Kostengrenze) aufgehoben wurde. Gleichzeitig gab es dem Antrag der Bezirksrevisorin statt und setzte die Vergütung auf (nur) EUR 3.000,00 fest. Der Sachverständige habe die Überschreitung nicht rechtzeitig angezeigt und dieses Unterlassen auch im Sinne von § 8a Abs. 5 JVEG zu vertreten.
Dagegen richtet sich dessen Beschwerde, mit der er u.a. geltend macht, bei einem derart geringen ursprünglichen Kostenrahmen (EUR 3.000,00) sei die Überschreitung zu erwarten gewesen. Eine Anhörung der Kostenschuldner zu dem angefragten Rahmen wäre möglich gewesen. Zeitlicher Druck sei von ihm nicht ausgeübt, vielmehr die Kostennote erst am 19.04.2022 eingereicht worden, so dass die Anzeige nicht verspätet sei. Dem JVEG sei nicht zu entnehmen, wann der Sachverständige um Erhöhung des Kostenrahmens anfragen solle.
II. Nachdem nunmehr seit dem Jahre 2013 geltenden Recht, nämlich §§ 8a Abs. 4 JVEG i.V.m. 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO, kann die Beschwerde keinen Erfolg haben:
1. Sowohl in § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO wie auch in § 8a Abs. 4 JVEG geht das Gesetz ausdrücklich davon aus, der Sachverständige habe "rechtzeitig" auf ein erhebliches Überschreiten des Kostenvorschusses hinzuweisen. In dem Beweisbeschluss vom 26.05.2021 wird dem Gutachter überdies aufgegeben, in diesem Falle das Gericht "vorab" zu benachrichtigen.
a) Es kommt dabei nicht darauf an, wann die Kostennote eingereicht wird. Vielmehr meint das Gesetz unmissverständlich, der Sachverständige habe vor einem Auflaufen von Kosten, die einen bestimmten vorgegebenen Rahmen erheblich überschreiten, hierauf hinzuweisen; "rechtzeitig" bzw. "vorab" bedeutet, dass der Gutachter, sobald er im Rahmen ...