Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung einer Überraschungsentscheidung
Leitsatz (redaktionell)
Aufhebung einer Überraschungsentscheidung, die zudem mehrere Verfahrensfehler aufweist.
Normenkette
FGG §§ 12, 50, 50b; BGB § 1671
Verfahrensgang
AG München (Beschluss vom 28.08.2009; Aktenzeichen 532 F 3198/09) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Kindsvaters hin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - München vom 28.8.2009 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das AG - Familiengericht - München zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
III. Für das Kind C.S., geboren am 10.1.2005, wird Verfahrenspflegschaft angeordnet. Als Verfahrenspflegerin wird Frau Rechtsanwältin S.
IV. Der Kindsmutter wird für das Beschwerdeverfahren mit Wirkung ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt. Eine Zahlungsanordnung wird nicht getroffen. Zur Wahrnehmung der Rechte wird Rechtsanwältin I.S. beigeordnet.
V. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
VI. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien haben am 17.9.2004 geheiratet und leben seit März 2007 getrennt.
Aus der Ehe ist die gemeinsame Tochter C.S. geboren am 10.1.2005, hervorgegangen.
Mit Endurteil des AG München vom 12.11.2008 (Az.: 532 F 3982/07) wurde die Ehe der Parteien geschieden und das Aufenthaltsbestimmungsrecht wurde auf die Kindsmutter übertragen. Im Rahmen dieses Scheidungsverfahrens wurde ein Gutachten zur Erziehungsfähigkeit beider Eltern eingeholt. Auf das Gutachten der Sachverständigen C.H. vom 8.8.2008 wird Bezug genommen. Des Weiteren wurde in dem Scheidungsverfahren ein Gutachten zur Glaubhaftigkeit der Inzestvorwürfe des Kindsvaters ggü. Ch.A.M., geboren am 19.11.1991, mit seiner Mutter W.Ch.S. erholt. Auf das diesbezügliche Gutachten der Sachverständigen Ch.H. vom 30.7.2008 wird Bezug genommen.
Der Kindsvater legte gegen das damalige Urteil des AG München im Scheidungsverfahren Berufung ein, nahm diese in der Folgezeit aber wieder zurück.
Mit Antrag vom 5.4.2009 begehrte der Kindsvater die Übertragung der alleinigen Sorge. Die Kindsmutter ihrerseits nahm Bezug auf ihren bereits im Scheidungsverfahren gestellten Antrag vom 17.10.2008 auf Übertragung der alleinigen Sorge auf die Kindsmutter. Das AG erholte einen Bericht des Jugendamts, der mit Datum vom 12.5.2009 erstellt wurde. Am 26.8.2009 führte das AG eine mündliche Verhandlung mit beiden Parteien durch. Am 28.8.2009 erging der Beschluss, der nunmehr vom Kindsvater angefochten wird.
II. Das Verfahren wurde bereits vor dem 1.9.2009 beim AG München eingeleitet, so dass gem. Art. 111 FGG-RG noch die ursprünglichen Vorschriften anzuwenden sind.
Die Beschwerde ist gem. §§ 621e Abs. 1 und Abs. 3, 621 Abs. 1 Nr. 1, 517 ff. ZPO zulässig.
Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das AG, weil mehrere gravierende Verfahrensverstöße vorliegen.
1. Es liegt eine Überraschungsentscheidung vor.
Das AG ist offenbar selbst der Auffassung, dass eine endgültige Entscheidung über das Sorgerecht derzeit noch nicht möglich ist.
Schon in dem Scheidungsurteil vom 12.11.2008, in dem der Kindsmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde, findet sich in der im Übrigen äußerst dürftigen Begründung zur Sorgerechtsregelung Folgendes: "Die Frage der Übertragung des Sorgerechts ist von einem psychiatrischen Gutachten über den Antragsgegner und Vater abhängig. ...
Eine endgültige Entscheidung über das Sorgerecht war deshalb noch nicht möglich."
Auch im vorliegenden Verfahren äußerte der Amtsrichter im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26.8.2009, dass "die Sache derzeit nicht entscheidungsreif sei. Es sei das Ergebnis des Strafverfahrens wegen des Vaters abzuwarten".
Obwohl das Gericht also in verschiedenen Verfahren und zu unterschiedlichen Zeitpunkten selbst ausdrücklich darauf hinwies, dass eine endgültige Entscheidung über das Sorgerecht noch nicht möglich sei, erging am 28.8.2008 eine endgültige Regelung des Sorgerechts dergestalt, dass die elterliche Sorge insgesamt auf die Kindsmutter übertragen wird.
2. Es liegt des Weiteren ein Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip nach § 12 FGG vor, weil der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt ist.
Zwar hat das AG im Rahmen des Scheidungsverfahrens ein Gutachten zur Erziehungsfähigkeit beider Elternteile eingeholt. Das Gutachten kam jedoch zu dem Ergebnis, dass zur Erziehungsfähigkeit des Vaters ohne eine zusätzliche psychiatrische Abklärung des psychischen Gesundheitszustandes des Vaters nicht abschließend Stellung bezogen werden kann. Diese psychiatrische Zusatzbegutachtung wurde bislang aber, soweit ersichtlich, noch nicht einmal in Auftrag gegeben.
Des Weiteren stehen Vorwürfe gegen den Kindsvater wegen angeblicher sexueller Übergriffe des Kindsvaters auf seine Stieftochter R.A.-M. im Raum. Die diesbezüglichen Angaben des Kindes werden vom Jugendamt ausweislich seines Berichts vom 12.5.2009 sogar als glaubwü...