Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung der Geschäftsgebühr

 

Leitsatz (amtlich)

Eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr gemäß der Nr. 2300 RVG-VV ist (auch dann) gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV auf die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung anzurechnen, wenn der materiell-rechtliche Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr tituliert ist (Abgrenzung zum Senatsbeschluss vom 10.6.2008 - 11 W 3014/07).

 

Normenkette

RVG §§ 45 ff.; RVG-VV Vorbemerkung 3 Abs. 4

 

Verfahrensgang

AG Pfaffenhofen a.d. Ilm (Aktenzeichen 1 C 1207/07)

 

Gründe

... 1. Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtssicherheit angeschlossen hat, vermindert sich die im gerichtlichen Verfahren nach der Nr. 3100 RVG-VV anfallende 1,3 Verfahrensgebühr durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach der Nr. 2300 RVG-VV gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV entsprechend. Dabei ist es nach der Rechtsprechung des BGH ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist (u.a. BGH v. 22.1.2008 - VIII ZB 57/07, BGHReport 2008, 622 = MDR 2008, 592 = BRAK 2008, 141 = NJW 2008, 1323 und FamRZ 2008, 1346 = AGS 2008, 364).

2. Wie das LG in der eingehend begründeten Beschwerdeentscheidung zutreffend festgestellt hat, ist die Frage, ob die Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV auch im Falle der Festsetzung des Vergütungsanspruchs des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse zu berücksichtigen ist, in der Rechtsprechung streitig.

a) Nach herrschender Meinung ist die Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV grundsätzlich auch im Verhältnis zur Staatskasse anzuwenden (OLG Frankfurt JurBüro 2007, 149; OLG Stuttgart AnwBI. 2008, 301 = JurBü-ro 2008, 245; LAG Köln RVGreport 2007, 457; LAG Düsseldorf RVGre-port 2008, 142; VGH München AGS 2007, 314 mit ablehnender Anmerkung von N. Schneider; VGH München Beschluss vom 9.5.2006 - 12 C 06.65; OLG Oldenburg AGS 2008, 352 = OLG Oldenburg v. 27.5.2008 - 2 WF 81/08, OLGReport Oldenburg 2008, 629 = MDR 2008, 1185 und JurBüro 2008, 527; OLG Bamberg RVGreport 2008, 343; a.A. Hansens RVGreport 2008, 1, 2, Ziff. III 2). Dem steht nicht entgegen, dass beide Gebühren sich gegen unterschiedliche Schuldner richten. Es besteht nämlich eine Abhängigkeit des Anspruchs gegen die Staatskasse von dem Anspruch, der dem Rechtsanwalt gegen den Mandanten zusteht, es ist insoweit eine Deckungsgleichheit gegeben (OLG Stuttgart, a.a.O.).

b) Der Senat hat mit Leitsatzbeschluss vom 10.6.2008 - 11 W 3014/07 (bisher nicht veröffentlicht) entschieden, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV auf die von der Staatskasse zu zahlende Vergütung nur in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt auf den anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr eine Zahlung erhalten hat. Der Senat hat diese Auffassung mit der früheren Rechtsprechung zu § 118 Abs. 2 BRAGO und einer Anwendung des Rechtsgedankens des § 58 Abs. 2 RVG sowie den Besonderheiten des Prozesskostenhilferechts begründet.

c) Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr muss darüber hinaus aber auch dann erfolgen, wenn - wie im vorliegenden Fall - der materiell-rechtliche Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr tituliert ist. Für diesen Fall hatte der Senat schon unter der Geltung des § 118 Abs. 2 BRAGO eine Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtstreits bejaht (vgl. OLG München JurBüro 1989, 369 und JurBüro 1995, 85). Mit Leitsatzbeschluss vom 30.8.2007 (AGS 2007, 495 = AnwBI. 2007, 797) hatte der Senat auch zur Anwendbarkeit der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV entschieden, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr dann zu erfolgen hat, wenn die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr in voller Höhe als materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch geltend gemacht und vom Prozessgericht zuerkannt worden ist oder wenn die Geschäftsgebühr vom Gegner unstreitig bereits vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses bezahlt worden ist. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass insbesondere im Falle der Titulierung der Geschäftsgebühr eine Anrechnung bei der Festsetzung des Vergütungsanspruchs des beigeordneten Rechtsanwalts unterbleiben sollte. Es trifft zwar zu, dass der Anspruch des Rechtsanwalts auf Bezahlung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nur gegen den Mandanten besteht. Dieser hat sich aber seinen materiell-rechtlichen Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr titulieren lassen. Ohne die Bewilligung von Prozesskostenhilfe würde dem Rechtsanwalt aufgrund der Anrechnungsbestimmung gegen seinen Mandanten als Wahlanwaltsvergütung nur die um die Anrechnung verringerte Verfahrensgebühr zustehen. Es ist kein ...

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