Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungsnehmer, Umfang des Versicherungsschutzes, Allgemeine Versicherungsbedingungen, unangemessene Benachteiligung, Betriebsschließungsversicherung, Infektionsschutzgesetz, Krankheitserreger, Versicherungsvertrag, Vollständige Betriebsschließung, Betriebsschließungen, Gegenstand der Versicherung, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Versicherer, Treu und Glauben, Abschließende Aufzählung, Transparenzgebot, Versicherungsumfang, Behördliche Anordnung, Versicherungsleistungen, Versicherungsfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Formulierung in den Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger iSd Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" mit einer anschließenden listenförmigen Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern stellt eine abschließende Regelung dar, die ausschließlich bei Vorliegen der aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz bietet.

2. Eine solche Regelung begegnet keinen Wirksamkeitsbedenken. (redaktioneller Leitsatz)

3. Muss eine Kindertagesstätte aufgrund einer Allgemeinverfügung eines Landesministeriums coronabedingt den Regelbetrieb einstellen und darf in dieser Zeit lediglich eine Notbetreuung anbieten, liegt keine vollständige Schließung iSd Bedingungen vor. Bloße Betriebseinschränkungen, mögen sie auch von Gewicht sein, stehen einer echten Schließung nicht gleich.

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 17.09.2020; Aktenzeichen 12 O 7208/20)

 

Nachgehend

OLG München (Beschluss vom 20.07.2021; Aktenzeichen 25 U 5794/20)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 17.09.2020, Az. 12 O 7208/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

 

Gründe

Die Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Weder liegt Versicherungsschutz für die Auswirkungen der Corona-Pandemie vor noch eine Betriebsschließung.

1. Nach § 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) - AVB-BS - Stand 1. Januar 2013 der Beklagten (fortan: AVB-BS 2013; Anlage K 2), die Bestandteil des Versicherungsvertrags der Parteien sind, besteht kein Versicherungsschutz für Betriebsschließungen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 (fortan auch: Corona). § 1 Nr. 2 AVB-BS 2013 ist als abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger auszulegen und wirksam. Corona ist in dieser abschließenden Aufzählung nicht enthalten. Doch selbst, wenn man statt der Aufzählung in den Versicherungsbedingungen den Text der §§ 6 und 7 IfSG für maßgeblich hielte, um den Umfang des Versicherungsschutzes zu bestimmen, bestünde für Corona kein solcher.

a) § 1 AVB-BS 2013 ist so zu verstehen, dass Versicherungsschutz nur besteht, wenn der Betrieb geschlossen wird zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten, die in § 1 Nr. 2 lit. a, und von Krankheitserregern, die in § 1 Nr. 2 lit. b AVB-BS 2013 aufgezählt sind. Krankheiten und Erreger, die in diesen Listen nicht enthalten sind, wären auch dann nicht in den Versicherungsschutz einbezogen, wenn sie in den §§ 6 und 7 IfSG genannt wären.

aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 - IV ZR 117/09, r+s 2011, 295 Rn. 22). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10. April 2019 - IV ZR 59/18, NJW 2019, 2172 Rn. 17 mwN).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist § 1 AVB-BS 2013 im Sinne einer abschließenden Aufzählung auszulegen.

(1) § 1 AVB-BS 2013 ist überschrieben mit "Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren". Nach § 1 Nr. 1 AVB-BS 2013, überschrieben...

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