Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Genehmigungserfordernis für einen Beckengurt

 

Normenkette

BGB § 1631b Abs. 2; FamFG § 158 Abs. 4 S. 5

 

Verfahrensgang

AG Rosenheim (Entscheidung vom 29.10.2018; Aktenzeichen 2 F 1231/18)

 

Tenor

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 29.10.2018 wird zurückgewiesen.

2. Von einer Erhebung der Gerichtskosten wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Beschwerdeführer, Verfahrensbeistand des betroffenen Kindes M., geb. ...2004, beantragte die familiengerichtliche Genehmigung des Einsatzes eines Beckengurtes im Rollstuhl, Therapiestuhl und Stehständer. Das Amtsgericht sah kein Genehmigungserfordernis.

Der Beschwerdeführer ist minderjährig und leidet an einer zentralen Bewegungs- oder Koordinationsstörung. Er besucht von Montag bis Freitag eine private Schule der heilpädagogischen Tagesstätte in O. Da M. aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage ist, sich frei zu bewegen, benutzt er einen Rollstuhl mit Keil, einen Therapiestuhl mit Keil und einen Stehständer im Unterricht. Die Nutzung dieser Hilfsgeräte ist in einem Wochenplan festgehalten und jeweils zeitlich begrenzt. Da die Gefahr besteht, dass M. aus dem Rollstuhl oder Therapiestuhl rutscht, wird er zeitlich begrenzt mit einem Beckengurt festgehalten. Das ermöglicht ihm eine stabile Sitzposition. Im Unterricht wird zudem ein Stehständer eingesetzt, um für M. vorübergehend eine aufrechte Haltung zu erreichen, was orthopädischen Fehlstellungen seiner Wirbelsäule vorbeugen soll. Ohne eine Fixierung im Becken, kann M. den Stehständer nicht benutzen.

M. kann nicht sprechen und sich lediglich über einen Sprachcomputer eingeschränkt verständigen. Er hat im Rahmen seiner Anhörung zum Ausdruck gebracht, dass die Benutzung eines Beckengurts mit den genannten Hilfsgeräten für ihn normal ist. Während der Maßnahmen ist immer eine Betreuungsperson anwesend.

Das Amtsgericht hat das Genehmigungsverfahren eingestellt, da es eine Genehmigung des Beckengurtes für nicht erforderlich hält. M. Möglichkeit zur Fortbewegung werde nicht eingeschränkt, sondern erweitert und die eingesetzten Geräte dienten überwiegend therapeutischen Zwecken.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verfahrensbeistands im Namen des Betroffenen.

Der Verfahrensbeistand ist der Auffassung, dass der Beckengurt genehmigt werden müsse. M. könne sich nicht äußern und es bestehe die Gefahr, dass die Eltern Therapiemaßnahmen befürworten, die M. möglicherweise nicht haben möchte. M. werde so bis zum Eintritt der Volljährigkeit alleine gelassen. Seine Freiheit werde entzogen, wenn er zeitweilig in einer Apparatur fixiert werde.

Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Auf eine weitere mündliche Verhandlung in der Beschwerdeinstanz konnte verzichtet werden.

Die Beschwerde des Verfahrensbeistandes im Namen des betroffenen Kindes ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet, § 59 FamFG.

Der Verfahrensbeistand handelt im Interesse des Kindes und ist berechtigt, im Namen des Kindes Beschwerde einzulegen, § 158 Abs. 4 S.5 FamFG. Da er mit der Beschwerde die Einhaltung gesetzlicher Genehmigungserfordernisse zum Schutze des Kindes einfordert, ist er auch beschwerdebefugt nach § 59 Abs. 1 FamFG.

Das Amtsgericht Rosenheim ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Einsatz des Beckengurts im zu entscheidenden Fall keiner Genehmigung durch das Familiengericht bedarf. Die Eltern können die Benutzung des Beckengurts bei M. zur Nutzung des Rollstuhls, Therapiestuhls und Stehständers im Rahmen seines Schulbesuchs in der heilpädagogischen Tagesstätte in O. in Ausübung ihrer elterlichen Sorge selbst genehmigen.

Die im konkreten Fall anzuwendende Maßnahme unterfällt nicht dem Genehmigungserfordernis des § 1631 b Abs. 2 BGB. Sinn und Zweck des § 1631 b Abs. 2 BGB ist es, den Minderjährigen davor zu schützen, dass seine Fortbewegungsfreiheit und Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung ohne Genehmigung und zu anderen als den gesetzlich vorgesehenen Zwecken eingeschränkt wird. Geschützt wird die Fortbewegungsfreiheit und nicht die allgemeine Handlungsfreiheit. Dient die konkrete Maßnahme ausschließlich anderen Zwecken wie etwa therapeutischen oder medizinischen Zwecken, die als Nebenwirkung möglicherweise die Bewegungsfreiheit einschränken, unterliegt die Entscheidung der Eltern über ihren Einsatz nicht dem Vorbehalt der richterlichen Genehmigung (vgl. BT-Drucksache 18/11278, Seite 17).

In erster Linie ist daher darauf abzustellen, ob der Einsatz eines Beckengurts den minderjährigen M. während seines Schulbesuchs in seiner Fortbewegungsfreiheit einschränkt. Dies ist zu verneinen. Ohne einen Beckengurt könnte M. im Rollstuhl oder Therapiestuhl nicht stabil sitzen und sich entsprechend seinem Willen fortbewegen und am Schulgeschehen, wie z.B. Sportunterricht, teilnehmen. Das wird ihm durch den Einsatz eines Beckengurtes gerade erst ermöglicht. Auch der Stehständer mit ...

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