Entscheidungsstichwort (Thema)
Frist zur Wiedereinsetzung bei Wegfall des Hindernisses vor Ablauf der Hauptfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Ein elektronisch übermitteltes, einfach signiertes Dokument erfüllt die für bestimmende Schriftsätze erforderliche Form, wenn es auf einem der in § 130a Abs. 4 ZPO vorgesehenen sicheren Übermittlungswege übermittelt wurde und die das Dokument verantwortende Person selbst das Dokument an die Justiz übermittelt hat (BAG BeckRS 2020, 13297). (Rn. 13)
2. Arbeitsüberlastung kann ein Fristversäumnis nur dann entschuldigen, wenn die Säumnis nicht durch anderweitige organisatorische Maßnahmen, etwa eine Unterstützungsbitte an Kanzleikollegen, abwendbar war. (Rn. 18)
3. Der Lauf der Frist zur Nachholung der versäumten Prozesshandlung beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben wird, unabhängig vom Lauf der Hauptfrist (BGH BeckRS 2020, 19746). (Rn. 19)
Normenkette
BGB § 187; RAVPV § 23 Abs. 3 S. 5; ZPO § 85 Abs. 2, § 130a Abs. 3 S. 1, Abs. 4 Nr. 2, §§ 130d, 222, 233 S. 1, § 234 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 236 Abs. 1, 2 S. 2, § 520 Abs. 2 Sätze 2-3, Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 11.12.2023; Aktenzeichen 29 O 10965/23) |
Tenor
1. Der Antrag des Beklagten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist zur Begründung der Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.12.2023, Aktenzeichen 29 O 10965/23, wird verworfen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 49.780,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Beklagte wurde durch Urteil des Landgerichts München I vom 11.12.2023, dem vorherigen Prozessvertreter des Beklagten zugestellt am 13.12.2023, Az.: 29 O 10965/23, zur Zahlung von 49.780,00 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen verurteilt. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 11.12.2023 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 15.01.2024, bei dem Oberlandesgericht eingegangen am selben Tag, legten die vormaligen Prozessvertreter des Beklagten für diesen gegen das landgerichtliche Urteil vom 11.12.2023 Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 06.02.2024 (Bl. 7 der eAkte) bestellte sich die Kanzlei B. und Partner (RA Dr. R.) als neue Prozessvertreter des Beklagten. Rechtsanwalt Dr. R. beantragte aufgrund von Arbeitsüberlastung eine Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung bis einschließlich 13.03.2024. Die bisherigen Prozessvertreter des Beklagten teilten mit Schriftsatz vom 07.02.2024 mit, den Beklagten und Berufungskläger nicht mehr anwaltlich zu vertreten.
Durch Verfügung des Gerichts vom 07.02.2024 (Bl. 8 der eAkte) wurde die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis 13.03.2024 verlängert. Mit Schreiben vom 13.03.2024 (Bl. 10 der eAkte) beantragte der Beklagtenvertreter die verlängerte Berufungsbegründungsfrist neuerlich um zwei Wochen bis 27.03.2024 zu verlängern. Zur Begründung führt der Beklagtenvertreter dort aus, eine fristgerechte Stellungnahme sei ihm aufgrund anhaltender Arbeitsüberlastung, insbesondere bedingt durch zahlreiche andere kurzfristige Fristsachen, zum Teil im Eilrechtsschutz, nicht möglich. Zudem habe sich im Rahmen der Bearbeitung herausgestellt, dass eine Besprechung mit dem Mandanten erforderlich sei, die bisher nicht habe erfolgen können.
Durch eine am 14.03.2024 signierte Verfügung des Gerichts (mit Datum 13.03.2024), dem Prozessvertreter des Beklagten zugestellt am 15.03.2024, wies das Gericht darauf hin, dass die Frist zur Berufungsbegründung bereits durch Verfügung vom 07.02.2024 antragsgemäß um einen Monat bis 13.03.2024 verlängert worden war und eine weitere Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung nur mit Einwilligung der Gegenseite in Betracht kommt (Bl. 11 der eAkte). Mit Schreiben vom 15.03.2024 bestellten sich die erstinstanzlichen Prozessvertreter der Klägerin auch für die Berufungsinstanz und beantragten, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Dieses Schreiben wurde dem Beklagtenvertreter am 19.03.2024 mit der Gelegenheit, binnen zwei Wochen zu dem Schreiben und zu dem Hinweis des Senats vom 13.03.2024 Stellung zu nehmen, zugestellt.
Mit Schreiben vom 02.04.2024 (Bl. 13 eAkte) beantragte der Beklagtenvertreter, dem Beklagten Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung zu gewähren. Nach Beantragung der Verlängerung der Berufungsfrist auf 13.03.2024 seien in zwei Mandaten des Bevollmächtigten des Beklagten streitige Gesellschafterversammlungen angesetzt worden, einmal auf Freitag, 08.03.2024, einmal auf Montag, 11.03.2024. Für diese Gesellschafterversammlungen habe der Prozessbevollmächtigte des Beklagten eine einstweilige Verfügung und eine Schutzschrift vorbereiten müssen. Die Berufungsbegründung habe daher nicht fristwahrend erstellt werden können. Außerdem sei zur Begründung der Berufung eine Rücksprache mit dem Beklagten erforderlich gewesen. Eine vorher...