Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Nachlassgericht bereits einen Erbschein erteilt, schließt dies in der Regel aus, dass die Erben "unbekannt" sind. Die Bestellung eines Nachlasspflegers kommt dann regelmäßig nicht in Betracht.

2. Etwas anderes kann dann gelten, wenn dem Nachlassgericht ein wohlbegründeter Antrag auf Einziehung des Erbscheins vorliegt (Fortführung von BayObLGZ 1960, 405).

3. Vor der Bestellung eines Nachlasspflegers hat das Nachlassgericht in einem solchen Falle als Vorfrage zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Einziehung eines Erbscheins vorliegen.

4. Für diese Vorprüfung bleibt auch dann der Rechtspfleger zuständig, wenn für das Einziehungsverfahren der Richter zuständig ist.

 

Normenkette

BGB §§ 1960, 2361, 2365; RpflG §§ 16, 19

 

Verfahrensgang

AG Traunstein (Aktenzeichen 7 VI 873/18)

 

Tenor

1) Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts Traunstein - Nachlassgericht - vom 05.08.2019 aufgehoben.

 

Gründe

I. Der geschiedene Erblasser ist am 15.4.2018 verstorben. Aus der geschiedenen Ehe entstammen zwei Töchter, die Beteiligten zu 4 und 5.

Der Erblasser hat ein Testament vom 15.10.2017 hinterlassen, in dem er die Beteiligten zu 1 und 2 je zur Hälfte als seine Erben eingesetzt hat.

Das Nachlassgericht hat diesen daraufhin am 7.8.2018 einen entsprechenden Erbschein erteilt.

In der Folgezeit äußerten die Beteiligten zu 4 und 5 Zweifel an der Eigenhändigkeit des Testaments, woraufhin das Nachlassgericht ein Sachverständigengutachten zur Frage der eigenhändigen Errichtung des Testaments vom 15.10.2017 eingeholt hat, das am 16.9.2019 erstattet wurde.

Am 24.9.2019 erhob der Beteiligte zu 2 vor dem Landgericht Traunstein - Zivilkammer - gegen die Beteiligten zu 4 und 5 Klage auf Feststellung, dass er den Erblasser zu 1/2 beerbt habe.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 24.10.2019 "das Verfahren" ausgesetzt.

Bereits mit Beschluss vom 5.8.2019 hatte das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger bestellt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 2 vom 14.8.2019.

II. Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis erfolgreich.

Der Senat teilt nicht die Ansicht des Nachlassgerichts, wonach die Voraussetzungen für die Bestellung eines Nachlasspflegers im vorliegenden Falle gegeben sind; jedenfalls ist der Erbe nicht unbekannt im Sinne des § 1960 Abs. 1 S. 2 BGB.

1. Der Erbe ist unbekannt, wenn sich das Nachlassgericht - oder ihm nachfolgend im Beschwerdeverfahren das Beschwerdegericht - nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen kann, wenn von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist (BGH ZEV 2013, 36). Das gilt auch dann, wenn nur zwei Personen als Erben in Frage kommen, sich das Nachlassgericht aber nicht davon überzeugen kann, wer von beiden Erbe ist (BayObLGZ 1960, 405).

Die Vermutung des § 2365 schließt im Regelfall das Unbekanntsein des Erben aus, wenn ein Erbschein erteilt ist (Leipold in: MüKo/BGB 8. Auflage ≪2020 ≫ § 1960 Rn. 19). Der Erbe kann gleichwohl unbekannt sein, wenn zwar bereits ein Erbschein erteilt ist, aber ein wohlbegründeter Antrag auf dessen Einziehung vorliegt (BayObLG a.a.O.; BeckOK/Höger Stand ≪1.2.2020 ≫ § 1960 Rn. 4). Liegt ein solcher Antrag auf Einziehung des Erbscheins vor, hat das Nachlassgericht die Frage, ob seine Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins erschüttert ist, als Vorfrage für die Anordnung der Nachlasspflegschaft selbständig zu prüfen (BayObLG a.a.O.).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze teilt der Senat zunächst die Ansicht, dass allein der Umstand, dass die Beteiligten zu 1 und 2 am 7.8.2018 einen Erbschein erteilt bekommen haben, der Bestellung eines Nachlasspflegers nicht grundsätzlich entgegensteht. Vielmehr ist als Vorfrage vor der Bestellung des Nachlasspflegers zu prüfen, ob die Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins erschüttert ist (BayObLG a.a.O.).

Letzteres ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall.

a) Das Nachlassgericht hat am 7.8.2018 einen Erbschein erteilt, der auf dem Testament des Erblassers vom 15.10.2017 basiert.

aa) Der erteilte Erbschein wäre einzuziehen (§ 2361 BGB), wenn er unrichtig ist. Das ist dann der Fall, wenn das Gericht das bezeugte Erbrecht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr als gegeben ansieht, wobei bloße Zweifel nicht genügen (Palandt/Weidlich BGB, 79. Auflage ≪2020 ≫ § 2362 Rn. 9; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage ≪2019 ≫ § 39 Rn. 1). Das Nachlassgericht muss sich dabei in die Lage versetzen, als hätte es den Erbschein erstmals zu erteilen (Palandt/Weidlich a.a.O.).

bb) Zuständig für diese Vorprüfung ist der Rechtspfleger, der beabsichtigt, einen Nachlasspfleger zu bestellen, 16 Abs. 1 Nr. 1 RpflG (Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage ≪2019 ≫ § 41 Rn. 65). Dies gilt auch dann, wenn für das Einziehungsverfahren der Nachlassrichter zuständig wäre (§§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, Abs. 2 RpflG).

cc) Es kann dahinstehen, ob für das Verfahren auf Bestellung eines Nachlasspflegers im Hinblick auf die Zweifel an der Richtigkeit d...

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