Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafprozessrecht: Informations- und Abgrenzungsfunktion einer Anklageschrift [Betäubungsmittelverfahren]. Beweiswürdigung bei Aussage gegen Aussage
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anforderungen an die Konkretisierung des Tatvorwurfs sind umso stärker, desto größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte andere verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat. Übertriebene Anforderungen an die Konkretisierung der Tat dürfen aber nicht gestellt werden. Deshalb kann auch bei zum Teil ungenauen Zeitangaben die erforderliche Identität der Tat gegeben sein, wenn die Tat durch andere Umstände als die genaue Zeitangabe so genau konkretisiert wird, dass ihre Individualität und Unterscheidbarkeit von anderen Taten gewahrt ist.
2. Die Beweiswürdigung ist nicht fehlerhaft, wenn der Tatrichter erkannt und berücksichtigt hat, dass der Zeuge der einzige Belastungszeuge ist, in einem anderen Verfahren seine belastende Aussage relativiert hat, was zum Freispruch eines der dortigen Angeklagten führte, und im vorliegenden Verfahren sich möglicherweise Vorteile nach § 31 BtMG versprochen hat.
Verfahrensgang
LG Augsburg (Urteil vom 09.01.2007) |
Tenor
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9. Januar 2007 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird auf die zutreffende Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht in ihrer Antragsschrift vom 22.3.2007 Bezug genommen, die auch durch die Erwiderung der Verteidigung vom 10.4.2007 nicht entkräftet wird.
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor.
a) Aus dem Strafbefehl vom 6.4.2006 ergibt sich hinreichend deutlich, welche Taten dem Angeklagten zur Last gelegt werden; über diese hat das Landgericht auch entschieden. Hierbei ist von Folgendem auszugehen (vgl. OLG Hamm Urteil vom 22.11.2000 - 2 Ss 908/00 = StraFo 2001, 92f; OLG Düsseldorf Urteil vom 19.5.1995 - 5 Ss 55/95 - 22/95 = JMBl NW 1995 237f).
aa) Ein Strafbefehl hat, wie eine Anklageschrift, in prozessualer Hinsicht eine doppelte Bedeutung. Über die Bestimmung des Prozessgegenstandes (Umgrenzungsfunktion) hinaus soll er dem Gericht und dem Angeschuldigten die für die Durchführung des Verfahrens und für die Verteidigung notwendigen Informationen vermitteln (Informationsfunktion). Mängel hinsichtlich dieser Funktionen haben auf Grund der verschiedenen Aufgaben unterschiedliche Folgen. Während die die Informationsfunktion betreffenden Mängel in der Regel noch im Hauptverfahren zu heilen sind, haben Defizite hinsichtlich der Umgrenzungsfunktion die Unwirksamkeit des Strafbefehls zur Folge; im Falle einer Anklageerhebung ist dann die Eröffnung des Strafverfahrens abzulehnen.
Einen Mangel in der Umgrenzungsfunktion weist der Strafbefehl vom 6.4.2006 nicht auf. Um dieser Funktion gerecht zu werden, hat er die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmten Taten gemeint sind; sie müssen sich von anderen gleichartig gelagerten strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen; es muss klar sein, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll.
Mit welchen näheren Tatsachen eine Tat in ausreichendem Maß genügend gekennzeichnet ist, lässt sich nicht allgemein sagen. Die Anforderungen an die Konkretisierung des Tatvorwurfs sind umso stärker, desto größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte andere verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat. Übertriebene Anforderungen an die Konkretisierung der Tat dürfen aber nicht gestellt werden. Deshalb kann auch bei zum Teil ungenauen Zeitangaben die erforderliche Identität der Tat gegeben sein, wenn die Tat durch andere Umstände als die genaue Zeitangabe so genau konkretisiert wird, dass ihre Individualität und Unterscheidbarkeit von anderen Taten gewahrt ist.
Sind auf Grund der Vielzahl gleichförmiger Taten oder eines lang zurückliegenden Tatzeitraums konkretere Angaben nicht möglich, reicht es insbesondere bei Serienstraftaten oder bei Taten, die nach der frühren Rechtsprechung zu einer fortgesetzten Handlung zusammengefasst worden wären, zur Vermeidung von gewichtigen Lücken in der Strafverfolgung aus, in dem Strafbefehl oder der Anklageschrift zunächst die Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung und des Tatopfers bzw. die Tatbeteiligten mitzuteilen. Darüber hinaus muss die Anzahl der Taten benannt werden, die dem Angeklagten zur Last gelegt werden, da andernfalls nicht erkennbar ist, ob sich das Urteil innerhalb des von dem Strafbefehl bzw. der Anklage gegebenen tatsächlichen Rahmens hält und ob es ihn ausschöpft.
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