Leitsatz (amtlich)
Für die Teilnahme des Beistands des Verfolgten im Rahmen des Auslieferungsverfahrens an einem Termin zur Anhörung des Verfolgten vor dem Amtsgericht nach den §§ 21, 22 oder 28 IRG fällt keine Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV-RVG an
Tenor
Auf die Erinnerung der Staatskasse wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 16.11.2020 dahingehend abgeändert, dass die der Rechtsanwältin P. H. zu erstattenden Gebühren auf € 389,76 festgesetzt werden.
Gründe
A.
Am 26.10.2020 erfolgte an der Rastanlage R.-Ost die Festnahme des international zur Festnahme ausgeschriebenen rumänischen Staatsangehörigen C.-V. L. zum Zwecke der Auslieferung von der Bundesrepublik Deutschland nach Rumänien. Das Amtsgericht Passau - Ermittlungsrichter - ordnete dem Verfolgten mit Verfügung vom 27.10.2020 Rechtsanwältin P. H. als Pflichtbeiständin gemäß § 40 Abs. 2, 5 IRG bei. Diese war bei der Vernehmung durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Passau am selben Tag anwesend. Der Verfolgte erklärte sich mit einer Auslieferung im vereinfachten Verfahren einverstanden. Sodann wurde angeordnet, dass der Verfolgte bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts München über den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls festgehalten wird. Am 04.11.2020 erließ das Oberlandesgericht München einen Auslieferungshaftbefehl. Am 08.01.2021 erfolgte die Auslieferung an die rumänischen Behörden.
Mit Schreiben vom 04.11.2020 beantragte Rechtsanwältin H. die Festsetzung von Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit im Termin vom 27.10.2020 wie folgt:
Verfahrensgebühr gem. Nr. 4205 VV RVG |
€ |
162,00 |
Terminsgebühr gem. 4207 VV RVG |
€ |
162,00 |
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG |
|
20,00 |
USt |
€ |
55,04 |
Gesamtsumme |
€ |
399,04 |
Nach Hinweis der Rechtspflegerin beim Oberlandesgericht München, dass die Gebühren nicht nach Teil 4 sondern nach Teil 6 des RVG anfallen, wurde folgende Kostennote gestellt:
Verfahrensgebühr gem. Nr. 6101 VV RVG |
€ |
316,00 |
Terminsgebühr gem. 6102 VV RVG |
€ |
424,00 |
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG |
€ |
20,00 |
USt |
€ |
121,60 |
Gesamtsumme |
€ |
881,60 |
Mit Beschluss des Oberlandesgerichts München 16.11.2020 wurden die Gebühren wie beantragt in Höhe von 881,60 € festgesetzt und ausbezahlt.
Am 01.02.2021 legte die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht München im Namen der Staatskasse Erinnerung gegen diesen Beschluss ein, welcher die Rechtspflegerin nicht abhalf.
Mit Schreiben vom 26.02.2021 wurden die Beteiligten zur Übertragung der Sache auf den Senat angehört. Die Staatskasse erklärte am 08.03.2021 ihr Einverständnis. Rechtsanwältin H. äußerte sich in ihrer Stellungnahme vom 09.03.2021 hierzu nicht.
Mit Einzelrichterbeschluss vom 22.03.2021 wurde das Verfahren dem Senat zur Entscheidung übertragen.
B.
I. Das Oberlandesgericht München entscheidet in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, da das Verfahren mit Beschluss des Einzelrichters vom 22.03.2021 aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage dem Senat übertragen wurde (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 33 Abs. 8 Satz 2 RVG, § 122 Abs. 1 GVG).
II. Die Erinnerung der Staatskasse ist statthaft gemäß § 56 Abs.1 RVG und zulässig erhoben.
III. Die Erinnerung ist auch begründet. Für ihre Tätigkeit vor dem Amtsgericht Passau erhält die Pflichtbeiständin weder eine Terminsgebühr nach Nr. 4207 VV RVG noch nach Nr. 6102 VV RVG:
1. Das Auslieferungsverfahren ist ein Verfahren nach dem IRG. Die einem Rechtsanwalt für seine Tätigkeit als Beistand in einem solchen Verfahren zustehenden Gebühren sind abschließend in Teil 6 VV RVG geregelt. Es handelt sich bei diesen Verfahren um solche eigener Art, auf die Teil 4 VV RVG keine Anwendung findet (vgl. Mayer in Gerold/Schmitt, RVG, 25. Auflage 2021, 6100 - 6102 VV Rn 1), sodass die von der Pflichtbeiständin geltend gemachte Terminsgebühr gemäß Nr. 4207 VV RVG schon aus diesem Grund nicht entsteht.
2. Der Pflichtbeiständin entsteht für die Tätigkeit vor dem Amtsgericht Passsau auch keine Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV RVG. Nach einhelliger Auffassung der Oberlandesgerichte ist anerkannt, dass im Auslieferungsverfahren ein Termin vor dem Richter beim Amtsgericht - sei es zur Entscheidung über eine Festhalteanordnung, sei es zur Verkündung eines Haftbefehls - eine Terminsgebühr nicht auslöst (vgl. OLG München, Beschluss vom 30.05.2011 - 4 Ws 72/11 (K), nv; unter Aufgabe der bisherigen abweichenden Rechtsprechung nunmehr Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 11.03.2021 - Ausl AR 55/20 bei juris, OLG Hamburg, Beschluss vom 16.02.2021 - Ausl 35/20 und vom 21.02.2006 - Ausl 24/05, jeweils bei juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.11.2020 - 2 Ws 91/20, juris; OLG Bremen, Beschluss vom 12.09.2018 - 1 Ausl A 2/18, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 06.02.2007 - 33 Ausl 84/06, 01.12.2017 - OLG Ausl 111/16, vom 18.06.2018 - 1 (S) AR 48/17, jeweils bei juris; OLG Köln, Beschluss vom 14.03.2006 - 2 ARs 35/06, vom 10.01.2018 - 6 AuslA 195/17-110, jeweils juris; OLG Hamm, Beschluss vom 25.10.2016 - 1 Ws 241/16 und vom 30.03.2006 - 2 (s) S...