Leitsatz (amtlich)
Kämpfen zwei Kinder mit 1,5 m langen Holzstöcken gegeneinander und haben lediglich vereinbart, dass Schläge gegen den Kopf nicht zulässig sind, kommt eine völlige Haftungsfreistellung des Schädigers nach § 242 BGB, wie sie der BGH für Teilnehmer sportlicher Kampfspiele unter Umständen annimmt, nicht in Betracht, da es an einem festen und anerkannten Regelwerk fehlt.
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 24.08.2012; Aktenzeichen 23 O 269/12) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des LG München I vom 24.8.2012 - 23 O 269/12 aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.560,76 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.1.2012 sowie weitere 461,13 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.10.2012 zu zahlen.
III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftig noch entstehenden materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden, die aus dem Unfall vom 26.8.2011 resultieren, i.H.v. 50 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden.
IV. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
V. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 65 %, der Beklagte 35 %.
VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
VII. Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO begründet wie folgt.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend, da der Beklagte den Kläger im Rahmen eines Stockkampfs verletzt hat. Das LG, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er rügt, die Rechtsprechung des BGH zum Haftungsausschluss bei Kampfspielen und Wettkämpfen sei vorliegend nicht anwendbar. Der Kläger verfolgt daher seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Darüber hinaus beantragt er erstmals in zweiter Instanz, den Beklagten zur Zahlung von 962,71 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.
1. Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch i.H.v. 60,76 EUR sowie ein Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 1.500 EUR aus § 823 Abs. 1, § 249, § 253 Abs. 2 BGB zu.
1.1. Eine Körperverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB liegt vor.
1.2. Diese ist auch rechtswidrig, insbesondere fehlt es an einer rechtfertigenden Einwilligung. Die Verletzung der körperlichen Integrität wäre nur dann durch eine Einwilligung gerechtfertigt, wenn der Kläger mit der konkreten Verletzung einverstanden gewesen wäre (vgl. BGH NJW-RR 1995, 857, 858). Dies ist nicht ersichtlich und wird insbesondere auch vom Beklagten nicht behauptet.
1.3. Der Beklagte handelte auch fahrlässig. Maßgeblich ist, ob ein normal entwickelter Junge vergleichbaren Alters die Gefährlichkeit hätte voraussehen und danach hätte handeln können (Sprau in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 828 Rz. 7, Grüneberg in: Palandt, a.a.O., § 276 Rz. 17). Bei einem zwölfjährigen Jungen ist ohne weiteres davon auszugehen, dass er die Gefährlichkeit des Spiels mit 1,5 m langen Holzstöcken erkennen und das Risiko erheblicher Verletzungen vorhersehen und danach handeln konnte.
Bereits eine Sorgfaltspflichtverletzung könnte aber schon dann ausscheiden, wenn die Verletzungen im sportlichen Wettkampf bei einem regelgerechten, dem Fairnessgebot entsprechenden Einsatz des Gegners entstanden sind (BGH NJW 2010, 537, 538; offengelassen von BGH NJW 2003, 2018, 2019 ob dies die Frage der Tatbestandsmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit betrifft). Grundlage hierfür ist aber, dass dem Spiel bestimmte, für jeden Teilnehmer verbindliche Regeln zugrunde liegen, die von vornherein feststehen, unter denen somit die Teilnehmer zum Spiel antreten und die insbesondere durch das Verbot von Fouls auch auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Spieler selbst ausgerichtet sind (BGH NJW-RR 1995, 857, 858 m.w.N.). Solche feste Regeln lagen hier indes nicht vor. Einzige zwischen den Parteien vereinbarte "Regel" war es, nicht auf den Kopf zu schlagen. Von einem geschlossenen Regelsystem, das schwerwiegende Verletzungen der Teilnehmer verhindern soll, kann damit nicht ausgegangen werden.
1.4. Auch ein konkludenter Haftungsverzicht des Klägers liegt nicht vor. Ein Haftungsverzicht setzt einen Verzichtswillen voraus. Ein solcher kann jedoch allenfalls angenommen werden, wenn die Beteiligten den Eintritt einer Verletzung wie diejenige, zu der es letztlich gekommen ist, ersichtlich in Erwägung gezogen haben (BGH NJW-RR 1995, 857, 858). Dass die beteiligten Kinder mit einer Kopfverletzung tatsächlich gerechnet haben, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
1.5. Dass dem Beklagten nac...