Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfolgsaussicht, Krankheit, Versicherungsnehmer, Feststellung, Notwendigkeit, Heilbehandlung, Wirtschaftlichkeitsgebot, Behandlung, Antragsteller, Verschlimmerung, Therapie, Anspruch, Beweisverfahren, Erstattung, rechtliches Interesse, medizinische Notwendigkeit, medizinisch notwendig
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Beschluss vom 25.02.2022; Aktenzeichen 21 OH 1682/21 Ver) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 25. Februar 2022, Az. 21 OH 1682/21 Ver, in Nr. I und II der Beschlussformel aufgehoben. Es ist nach Maßgabe der Antragsschrift vom 12. Oktober 2020 Beweis zu erheben. Die weiteren erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen werden dem Landgericht übertragen.
2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 19.974,29 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller unterhält bei dem Antragsgegner eine private Krankheitskostenversicherung. Wegen eines Prostatakarzinoms unterzog sich der Antragsteller im Jahr 2015 zunächst einem operativen Eingriff und sodann unter anderem einer hyperthermischen Behandlung. Die Übernahme der Kosten für eine Fortführung dieser Behandlung lehnte der Antragsgegner im Jahr 2020 ab.
Der Antragsteller hat beantragt,
im Wege des selbständigen Beweisverfahrens ein schriftliches Sachverständigengutachten im Kern dazu einzuholen, ob es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Behandlungszeitpunkt vertretbar war, durchgeführte Heilbehandlungen als notwendig anzusehen, und ob sich die durchgeführte Therapie und Diagnostik nach den medizinischen Erkenntnissen dazu eignet, die Krankheit des Antragstellers zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Nach Übertragung auf den Einzelrichter hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, verfolgt der Antragsteller seinen Antrag weiter.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Anordnung der Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren.
1. Gemäß § 485 Abs. 1 ZPO kann unter anderem außerhalb eines Streitverfahrens die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Insoweit hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorliegen, weil weder der Gegner zugestimmt hat noch eine Beweiserschwernis zu besorgen ist.
2. Nach § 485 Abs. 2 ZPO kann eine Partei, solange ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen unter anderem dann beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand einer Person (Satz 1 Nr. 1) oder der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens (Satz 1 Nr. 3) festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (Satz 2). Diese Voraussetzungen liegen - entgegen der Auffassung des Landgerichts - hier vor.
a) Der Antragsteller hat ein rechtliches Interesse an Feststellungen, das sich aus der Möglichkeit der Vermeidung eines Rechtsstreits gegen den Antragsgegner ergibt.
aa) Sinn und Zweck der prozessualen Beweissicherung nach § 485 Abs. 2 ZPO ist es, die Gerichte von Prozessen zu entlasten und die Parteien unter Vermeidung eines Rechtsstreits zu einer raschen und kostensparenden Einigung zu bringen (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 - VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273 Rn. 17 mwN). Deshalb ist das rechtliche Interesse als Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 485 Abs. 2 ZPO generell weit auszulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2003 - VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302 Rn. 9 f mwN).
Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 - VI ZB 53/08, VersR 2010, 133 Rn. 6; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. November 2015 - 3 W 41/15, BeckRS 2015, 121983 Rn. 4 f mwN). Dementsprechend kann ein rechtliches Interesse nur in völlig eindeutigen Fällen verneint werden, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009, aaO; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Dezember 2017 - 8 W 18/17, juris Rn. 43 mwN).
Ein rechtliches Interesse ist bereits dann nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, auch wenn möglicherweise eine abschließende Klärung durch das einzuholende Sachverständigengutachten nicht möglich ist und weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen (BGH, Beschluss vom 24. September 2013 - VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237 Rn. 18 mwN; vom 19. Mai 2020 - VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273 Rn. 16). Es kann genügen, wenn je nach Ergebnis der Begutachtung zu erwarten steht, dass es nicht zu einem Streitverfahren kommt (vgl. OLG Köln, MDR 2011, 318; BeckOK...