Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Verfügung gegen Löschung eines Beitrags auf einer Social-Media-Plattform
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Allgemeine Geschäftsbedingung des Betreibers einer Social-Media-Plattform, wonach dieser sämtliche Inhalte, die ein Nutzer postet, entfernen kann, wenn er (der Betreiber) der Ansicht ist, dass diese gegen die Richtlinien der Plattform verstoßen, ist unwirksam, weil sie den Nutzer als Vertragspartner des Betreibers entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
2. Den Grundrechten kommt insoweit eine mittelbare Drittwirkung zu, als das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich Elemente objektiver Ordnung errichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung haben, mithin auch das Privatrecht beeinflussen. § 241 Abs. 2 BGB bildet eine konkretisierungsbedürftige Generalklausel, bei deren Auslegung dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Rechnung zu tragen ist.
3. Mit dem gebotenen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz wäre es unvereinbar, wenn der Betreiber einer Social-Media-Plattform gestützt auf ein "virtuelles Hausrecht" auf der von ihm bereitgestellten Plattform den Beitrag eines Nutzers, in dem er einen Verstoß gegen seine Richtlinien erblickt, auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet.
4. Die Interpretation einer Äußerung setzt die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums voraus. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2; GG Art. 5 Abs. 1; NetzDG § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
LG München II (Beschluss vom 14.08.2018; Aktenzeichen 11 O 3129/18) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts München II vom 14.08.2018, Az.: 11 O 3129/18, abgeändert und folgende einstweilige Verfügung erlassen:
Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten untersagt,
1. einen von der Antragstellerin auf der F.-Seite von "Spiegel-Online" zu dem Artikel mit der Überschrift "Österreich kündigt Grenzkontrollen an" eingestellten Kommentar mit folgendem Wortlaut:
"... Gar sehr verzwickt ist diese Welt, mich wundert's daß sie wem gefällt. Wilhelm Busch (1832 - 1908)
Wusste bereits Wilhelm Busch 1832 zu sagen:-D Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir."
zu löschen,
2. die Antragstellerin wegen der erneuten Einstellung dieses Kommentars auf der Plattform www.f...com zu sperren.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung, durch welche der Antragsgegnerin untersagt werden soll, den im Tenor unter Ziffer I 1 wiedergegebenen Textbeitrag auf www.f...com zu löschen und sie wegen des Einstellens des vorgenannten Textbeitrages auf www.f....com zu sperren.
Das Landgericht München II hat mit Beschluss vom 14.08.2018 den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, dass weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund bestehe. Hinsichtlich der näheren Begründung wird auf die Ausführungen in den Gründen des vorgenannten Beschlusses (Bl. 31/33 d.A.) Bezug genommen.
Gegen den ihr am 17.08.2018 formlos bekannt gegebenen Beschluss hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 17.08.2018, beim Landgericht München II eingegangen am selben Tage, sofortige Beschwerde eingelegt. Hinsichtlich der Begründung des Rechtsmittels wird auf den vorgenannten Schriftsatz (Bl. 35/38 d.A. mit den zugehörigen Anlagen) verwiesen.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 20.08.2018 (Bl. 39/40 d.A.), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landgericht hat den mit der sofortigen Beschwerde angreifbaren Beschluss entgegen der Vorschrift des § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht förmlich zugestellt; die zweiwöchige Notfrist des § 569 ZPO ist aber offensichtlich gewahrt.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag vom 10.08.2018 auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfüg...