Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsrecht bei selbständigen Beweisverfahren
Leitsatz (amtlich)
Erhält ein Rechtsanwalt einen unbedingten Auftrag für ein selbständiges Beweisverfahren vor dem 1.7.2004 und einen unbedingten Auftrag für die Hauptsache erst danach, so liegen zwei Angelegenheiten vor und richtet sich die Vergütung teilweise nach der BRAGO und teilweise nach dem RVG.
Normenkette
BRAGO § 37 Nr. 3; RVG Vorbem. 3 Abs. 5; RVG § 61 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 06.02.2006; Aktenzeichen 9 O 24233/04) |
Tenor
I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG München I vom 6.2.2006 wird unter Einbeziehung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 14.3.2006 dahingehend abgeändert, dass die von der Klägerin an die Beklagten zu erstattenden Kosten auf 1.124,69 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.11.2005 festgesetzt werden.
II. Sm Übrigen werden die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen.
III. Von den außergerichtlichen, wie den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beklagten 5/6, die Klägerin 1/6.
IV. Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf bis zu 600 EUR.
Gründe
Die Beklagte wendet sich dagegen, dass das Hauptsacheverfahren nicht als besondere Angelegenheit im Verhältnis zum selbständigen Beweisverfahren und nicht nach dem RVG abgerechnet wurde. Die Klägerin stimmt der Einwendung zu und macht geltend, dass bei ihr dann auch zwei Angelegenheiten abzurechnen sind. Soweit sich die sofortige Beschwerde auch noch gegen die Nichtgewährung einer Einigungsgebühr gewandt hatte, hat das LG durch Beschluss vom 14.3.2006 abgeholfen.
Die spätere Klägerin stellte mit Schriftsatz ihres späteren Klägervertreters vom 21.5.2003 einen Antrag auf ein selbständiges Beweisverfahren. Dies endete nach Gutachtenserholung mit dem Hinweis des Gerichts, dass es weitere Sachverständigengutachten nicht mehr erholen werde, da die Vermeidung eines Rechtsstreites i.S.v. § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht zu erwarten sei. Daraufhin erhob die Klägerin mit Schriftsatz ihres Klägervertreters vom 20.12.2004 Klage. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, nach dem die Klägerin 5/6 und die Beklagte 1/6 der Kosten zu tragen hat. Die Rechtspflegerin stellte sich auf den Standpunkt, dass gem. § 37 Nr. 3 BRAGO das selbständige Beweisverfahren und das Hauptsacheverfahren eine Angelegenheit darstellten. Hiergegen legte die Beklagte fristgemäß mit den oben dargelegten Argumenten sofortige Beschwerde ein.
Da die Klägerin im Kostenfestsetzungsantrag auch bereits zwei Angelegenheiten geltend gemacht hatte, sah der Senat im zustimmenden Schreiben des Klägervertreters eine Anschlussbeschwerde.
1. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Die Problematik des Falles liegt darin, dass die BRAGO in § 37 Nr. 3 vorsah, dass das selbständige Beweisverfahren und das Hauptsacheverfahren eine Angelegenheit sind. Demgegenüber steilen nach dem RVG beide Verfahren zwei Angelegenheiten dar (RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 5). § 61 Abs. 1 S. 1 RVG (Übergangsrecht) stellt darauf ab, ob es sich um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG handelt. Da §§ 16 ff. RVG näher beschreiben, was eine Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG ist, wird in § 61 Abs. 1 S. 1 RVG über § 15 RVG auch auf §§ 16 ff. RVG Bezug genommen. Es kommt daher darauf an, ob eine oder mehrere Angelegenheiten i.S.d. RVG vorliegen (Müller/Rabe, NJW 2005, 1609 [1611 II.3c]).
Demgegenüber wird die Auffassung vertreten, es sei fehlerhaft (Hansens, RVG-Report 2004, 10 [11]) und verfassungsrechtlich bedenklich (Hansens, RVG-Report 2004, 10 [11]; N. Schneider in Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts 2004, Teil 19, Rz. 31 - Verstoß gegen Art. 14 GG), wenn das RVG auf eine Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG abstellt. Richtigerweise müsste auf dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 13 BRAGO Bezug genommen werden (Hansens, RVG-Report 2004, 10 [11]). Dem ist nicht zu folgen. Die Regelung ist nicht systemwidrig. Zu früheren gleichartigen Übergangsregelungen und zum neuen Übergangsrecht war und ist ganz herrschende Meinung, dass eine Rückwirkung in einem Mandatsverhältnis nur soweit vermieden werden soll, als nur ein Auftrag für eine Angelegenheit vorlag. Deshalb wurde und wird bei einem unbedingten Auftrag für das PKH-Antragsverfahren und einem bedingten Antrag für das Hauptsacheverfahren ganz überwiegend angenommen, dass die Vergütung sich bei beiden nach unterschiedlichem Recht richten kann (Müller/Rabe, NJW 2005, 1609 [1610 I 3a) bb)], m.w.N., auch für die entgegengesetzte Meinung; OLG Hamm, Beschl. v. 17.11.2005 - 23 W 264/05; weiter für die Gegenmeinung OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.6.2005 - 5 WF 83/05). Man kann daher auch nicht ein Redaktionsversehen annehmen.
Verfassungsrechtliche Bedenken, womit Rückwirkung des RVG auf vor dem Stichtag angefangene Mandatsverhältnisse gemeint ist, bestehen nicht. Keiner von denen, die im Fall des PKH-Antragsverfahrens und des Hauptsacheverfahrens unterschiedliches Gebührenrecht zur Anwendung kommen lassen, hält dies für verfassungswidrig. Das Übergangsrecht zum anwal...