Leitsatz (amtlich)
Selbst wenn aufgrund vom Täter zu verantwortender Trunkenheit eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht kommt, hat der Tatrichter ab Blutalkoholkonzentrationswerten von 2 ‰ in den Urteilsgründen die Frage der verminderten Schuldfähigkeit zu erörtern, weil es sich bei der Strafzumessung im engeren Sinn (§ 46 Abs. 1 und 2 StGB) - neben dem möglicherweise strafschärfend wirkenden Vorverschulden (selbstverschuldete Berauschung) - zugunsten des Täters auswirken kann, wenn das durch die Alkoholisierung geminderte Maß an Schuld die Schwelle des § 21 StGB überschreitet.
Tatbestand
I.
Sachverhalt:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm bei Anordnung einer Sperrfrist für die Wiedererteilung die Fahrerlaubnis entzogen. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht die Tagessatzhöhe und die Dauer der Sperrfrist verändert.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte am Tattag zwischen 1.00 Uhr und 3.00 Uhr mit einem Pkw auf einer Kreisstraße, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Der Angeklagte kam nach ca. 3 bis 4 km Fahrt nach links von der Fahrbahn ab und fuhr ca. 15 m gegen einen Straßengraben. Der Pkw stand sodann quer zur Fahrbahn, wobei das Fahrzeugheck im Straßengraben stand und die Frontseite in die Fahrbahn ragte. Der Angeklagte wurde um 3.15 Uhr von einer Polizeistreife schlafend auf dem Fahrersitz angetroffen, sein Beifahrer schlief ebenfalls. Eine dem Angeklagten am 10.8.2007 um 3.51 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,68 ‰ im Mittelwert.
Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Ausspruches über die Rechtsfolgen Erfolg.
Entscheidungsgründe
(...)
2.
Dagegen hält der Rechtsfolgenausspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat sich nicht damit auseinander gesetzt, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Hinblick auf die Höhe der um 3.51 Uhr festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,68 ___AMPX_‰_SEMIKOLONX___X erheblich vermindert war. Denn eine Rückrechnung - die das Landgericht unterlassen hat - der Blutalkoholkonzentration auf den frühestmöglichen Tatzeitpunkt um 1.00 Uhr ergibt bei Zugrundelegung eines maximalen stündlichen Abbauwertes von 0,2 ___AMPX_‰_SEMIKOLONX___X und eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 ___AMPX_‰_SEMIKOLONX___X (zur Berechnung vgl. BGH NStZ 1986, 114; BGHSt 37, 231/237; BayObLG VRS 76, 423) einen Höchstwert von etwa 2,45 ___AMPX_‰_SEMIKOLONX___X.
Auf die Feststellung, ob die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt unbeeinträchtigt oder gemäß § 21 StGB erheblich vermindert war oder dies zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, durfte das Landgericht jedoch nicht verzichten. Unabhängig davon, ob eine mögliche verminderte Schuldfähigkeit zu einer Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 Abs. 1 StGB führt, ist die Feststellung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten stets erforderlich, da die Strafzumessung im Wesentlichen auf der Frage des Maßes der Schuld beruht. Das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit verringert nämlich grundsätzlich den Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat (Brandenburgisches OLG Beschluss vom 16.6.2004 - 1 Ss 50/04 - bei [...] unter Hinweis auf BGH NStZ-RR 1996, 161). Gleichermaßen kann sich im Bereich der Strafzumessung im engeren Sinn die vom Angeklagten zu verantwortende Trunkenheit zu seinen Lasten auswirken.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht nach der gebotenen Erörterung der Voraussetzungen des § 21 StGB möglicherweise auf eine geringere Geldstrafe erkannt hätte.
(...)
4.
Kommt der neue Tatrichter - gegebenenfalls unter Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen - zu dem Ergebnis, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit erheblich vermindert war, so hat dies keineswegs gewissermaßen automatisch eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zur Folge. Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit, spricht dies vielmehr in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten voraussehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht hat. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu bestimmen; seine Entscheidung unterliegt nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Überprüfung (vgl. BGHSt 49, 239; BGH NStZ 2006, 274; Fischer StGB 55.Aufl. § 21 Rn. 25 ff. m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 2580952 |
NStZ 2009, 373 |
DAR 2008, 712 |
NStZ-RR 2008, 355 |
NZV 2008, 529 |
VRS 2008, 127 |
ZfS 2008, 589 |
NJW-Spezial 2008, 683 |
VRR 2008, 283 |