Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anrechnung der Geschäftsgebühr bei Anwaltswechsel
Leitsatz (amtlich)
Die teilweise Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG kann nur dann erfolgen, wenn derselbe Rechtsanwalt oder dieselbe Sozietät vorgerichtlich ggü. dem späteren Prozessgegner tätig geworden ist. Wenn es nach Beendigung der außergerichtlichen Tätigkeit zu einem Anwaltswechsel kommt, greift die Anrechnungsvorschrift nicht ein.
Normenkette
ZPO §§ 91, 103-104; RVG-VV Vorbemerkung 3 Abs. 4
Gründe
I. Die Kläger haben die Beklagte mit ihrer Klage auf Beseitigung einer baulichen Anlage in Anspruch genommen. Vor Klageerhebung hatte der von den Klägern beauftragte Rechtsanwalt C. die Beklagte mit Schreiben vom 20.5.2008 und 26.5.2008 jeweils unter Fristsetzung zur Beseitigung der Anlage aufgefordert.
Mit ihrer Klage haben die Kläger deshalb auch außergerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 808,25 EUR (1,3-Geschäftsgebühr, 0,3-Erhöhungsgebühr, Auslagenpauschale und 19 % Mehrwertsteuer) geltend gemacht. Nachdem die Beklagte die Ansprüche anerkannt hatte, ist sie mit Anerkenntnisurteil vom 7.8.2008 u.a. zur Zahlung des Betrages von 808,25 EUR verurteilt worden. Die Kosten des Rechtsstreits hat das LG der Beklagten auferlegt.
Mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag vom 14.8.2008 haben die Kläger eine 1,3-Verfahrensgebühr nebst einer 0,3-Erhöhungsgebühr, eine 1,2-Terminsgebühr sowie die Post- und Telekommunikationspauschale und 19 % Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4.9.2008 die 1,3-Verfahrensgebühr wegen der ihrer Auffassung nach anzurechnenden Geschäftsgebühr um 267,80 EUR auf 315,90 EUR reduziert. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer sofortigen Beschwerde. Zur Begründung wird ausgeführt, die Minderung der Verfahrensgebühr um die hälftige (0,65)-Geschäftsgebühr von 267,80 EUR zzgl. Mehrwertsteuer sei unzutreffend. Es sei zwar richtig, dass den Klägern eine 1,3-Geschäftsgebühr aus dem Gegenstandswert von 8.000 EUR zugesprochen worden sei. Zweck der Anrechnungsvorschrift sei es jedoch zu verhindern, dass die gleiche Tätigkeit des Rechtsanwalts zweimal vergütet werde. Dieser Fall liege hier aber nicht vor. Die Kläger hätten außergerichtlich Rechtsanwalt C. mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche beauftragt, bei ihm sei auch die Geschäftsgebühr entstanden. Die Verfahrensgebühr sei dagegen bei den Prozessbevollmächtigten entstanden, die nicht außergerichtlich tätig gewesen seien.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO). Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet.
1. Es trifft zwar zu, dass sich die im gerichtlichen Verfahren nach der Nr. 3100 RVG-VV anfallende 1,3-Verfahrensgebühr durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach der Nr. 2300 RVG-VV gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV entsprechend vermindert. Dabei ist es nach der Rechtsprechung des BGH ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist (u.a. BGH NJW 2008, 1323 und FamRZ 2008, 1346 = AGS 2008, 364). Dieser Rechtsprechung des BGH hat sich der Senat mittlerweile in mehreren Entscheidungen aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtssicherheit angeschlossen. Im vorliegenden Fall wurde die vorgerichtliche Geschäftsgebühr sogar tituliert, was auch nach der früheren Rechtsprechung des Senats grundsätzlich deren Anrechnung auf die später im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr zur Folge gehabt hätte.
2. Die Kläger wenden jedoch zu Recht ein, dass nicht ihre im Hauptsacheverfahren tätigen Prozessbevollmächtigten mit der vorgerichtlichen Vertretung beauftragt waren, sondern ein anderer Rechtsanwalt.
a) Die Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV kann jedoch nur dann erfolgen, wenn derselbe Rechtsanwalt oder dieselbe Sozietät vorgerichtlich ggü. dem späteren Prozessgegner tätig geworden ist. Wenn es dagegen nach Beendigung der außergerichtlichen Tätigkeit zu einem Anwaltswechsel kommt, greift die Anrechnungsvorschrift nicht ein (Hansens, RVGreport 2007, 241, 242; Onderka in N. Schneider in AnwKomm/RVG, 4. Aufl., VV Vorbem. 3 Rz. 212). Die Anrechnung gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV hat nämlich ihren Grund darin, dass der schon vorprozessual mit der Sache befasste und hierfür vergütete Prozessbevollmächtigte im Hinblick auf den erfahrungsgemäß geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand nur eine gekürzte Vergütung zugebilligt erhalten sollte (BGH NJW 2008, 1323 = AnwBl. 2008, 378; Gesetzesbegründung zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz BT-Drucks. 15/1971, 209). Diese Umstände kommen jedoch gerade nicht zum Tragen, wenn nicht derselbe Rechtsanwalt bereits außergerichtlich tätig geworden ist.
b) ...