Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschalteinrichtung, Aussetzung des Verfahrens, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Arglistige Täuschung, Restwert, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Gebrauchsvorteil, Differenzschaden, Vorlagebeschluß, Vorteilsausgleichung, Vorabentscheidungsersuchen, Greifbare Anhaltspunkte, Ungerechtfertigte Bereicherung, Sittenwidrigkeit, Verfahrensaussetzung, Nutzungsvorteil, Vorgreiflichkeit, Abgasmanipulation, Erwerbszeitpunkt, Unzulässigkeit
Verfahrensgang
LG Kempten (Urteil vom 31.05.2024; Aktenzeichen 23 O 60/24) |
Tenor
1. Der Antrag des Klägers, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in den dort anhängigen Verfahren C-251/23, C-308/23 und C-666/23 auszusetzen, wird abgelehnt.
2. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 31.05.2024, Az.: 23 O 60/24, gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Hierzu besteht für die Klägerseite Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines von ihm erworbenen Dieselfahrzeugs wegen behaupteter Abgasmanipulationen auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger bestellte am 14.03.2014 bei einem Autohändler einen Neuwagen der Marke VW Golf 2.0 TDI zu einem Kaufpreis von 42.436,01 EUR. Das Fahrzeug, dessen Erstzulassung am 26.06.2014 erfolgte, ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet, der der Schadstoffklasse Euro 6 unterfällt. Zur Abgasreinigung trägt bei dem Fahrzeug zusätzlich zur Abgasrückführung ein Abgasnachbehandlungssystem in Form eines NOx-Speicherkatalysators (im Folgenden: NSK) bei. In der Motorsteuerungssoftware ist neben einem Thermofenster eine Funktion implementiert, durch die das Fahrzeug anhand von Fahrkurven erkennt, ob es sich auf dem Prüfstand für den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befindet. Am 06.05.2024 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 273.759 km auf. Der Restwert des Wagens belief sich zum 12.01.2024 auf 12.831,00 EUR.
Der Kläger behauptet, dass die Prüfzykluserkennung die Umschaltung in einen besonderen Betriebsmodus bewirke, in dem die Abgasreinigung gezielt verstärkt werde, so dass die Emissionsgrenzwerte nur dort eingehalten würden. Das Thermofenster sei so konfiguriert, dass es die Abgasrückführungsrate bereits bei einer Außentemperatur unterhalb von +15 Grad Celsius bzw. oberhalb von +33 Grad Celsius schrittweise reduziere.
Die Beklagte behauptet, dass die Fahrkurvenerkennung nicht als unzulässige Abschalteinrichtung wirke: Bei Fahrzeugen mit NSK werde die Fahrkurvenerkennung eingesetzt, um sicherzustellen, dass im Rahmen der Typprüfung mindestens einmal eine Regeneration des NSK erfolge und nicht um in einen besonderen Modus zu umzuschalten, der eine Einhaltung der Emissionsgrenzwerte auf dem Prüfstand sicherstelle. Das Thermofenster sei so konfiguriert, dass es die Abgasrückführungsrate erst bei Temperaturen unterhalb von -24 bzw. oberhalb von +70 Grad reduziere, also bei Extremtemperaturen, die unter normalen Bedingungen nicht eintreten.
Das Landgericht hat die Klage, mit der der Kläger primär den sog. "großen" Schadenersatz und hilfsweise Ersatz einer Wertminderung im Erwerbszeitpunkt sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten geltend macht, mit Urteil vom 31.05.2024 abgewiesen. Ein Anspruch auf großen Schadenersatz gemäß § 826 BGB bestehe nicht. Der Kläger habe eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte nicht schlüssig dargelegt. Ersatz eines Differenzschadens könne er jedenfalls deshalb nicht verlangen, weil die Summe aus dem Restwert des Fahrzeugs und den gezogenen Nutzungsvorteilen über dem Kaufpreis liege und der in Rede stehende Schaden somit durch anrechenbare Vorteile aufgezehrt sei.
Der Kläger hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 04.06.2024 zugestellte Urteil über diese mit Schriftsatz vom 26.06.2024, eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel wurde mit weiterem Schriftsatz der Klägervertreter vom 22.08.2024 innerhalb verlängerter Frist begründet. Der Kläger verfolgt seine erstinstanzlichen Rechtsschutzziele weiter. Hilfsweise hat er eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über drei dort derzeit anhängige Vorabentscheidungsverfahren beantragt.
II. Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor. Insbesondere hat die Berufung nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil des Landgerichts weist weder Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers auf, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO). Das Landgericht hat die Klage zu Recht in vollem Umfang abgewiesen.
1) Als Anspruchsgrundlage für den mit dem Hauptantrag gelten...