Leitsatz (amtlich)

1. Auch bei Anordnung oder Genehmigung einer vorläufigen Unterbringung ist - außer bei Gefahr im Verzug - dem Betroffenen bereits vor Erlass des Unterbringungsbeschlusses ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn das vorliegende Gutachten bzw. ärztliche Zeugnis nicht an ihn ausgehändigt werden soll und zudem nach ärztlichen Feststellungen zu erwarten ist, dass eine sachbezogene Anhörung nicht möglich sein wird.

2. Das Gericht hat bei einer Anordnung nach § 1846 BGB sicherzustellen, dass dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein zumindest vorläufiger Betreuer zur Seite steht (BGHZ 150, 45).

 

Normenkette

BGB § 1906; FGG § 70b Abs. 1, § 70h

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Beschluss vom 21.04.2006; Aktenzeichen 7 T 729/05 u. 7 T 690/05)

AG Kelheim (Aktenzeichen XVII 244/05)

 

Tenor

I. Auf die sofortige weitere Beschwerde wird der Beschluss des LG Regensburg vom 21.4.2006 aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die vom 3.11.2005 bis 16.11.2005 vollzogene Unterbringung des Betroffenen rechtswidrig war.

III. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Staatskasse auferlegt.

IV. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Aufgrund eines beim AG am 25.7.2005 eingegangenen anonymen Schreibens leitete dieses für den Betroffenen ein Betreuungsverfahren ein. Die zuständige Richterin nahm in der Folgezeit Kontakt mit dem Bürgermeister der Wohnortgemeinde des Betroffenen auf. Dieser schilderte den Betroffenen als lästig, sah aber eine Betreuung als nicht erforderlich an. Außerdem erfuhr die Richterin auf dienstlichem Wege, dass ein Termin, zu dem der Betroffene als Beklagter geladen war, abgesetzt worden sei, da er davon gesprochen habe, "Amok zu laufen oder sich etwas anzutun". Die für Kelheim zuständige Polizeiinspektion konnte bis Mitte Oktober 2005 keinen Anhaltspunkt für eine Selbst- oder Fremdgefährdung des Betroffenen feststellen, da sich seine streitbaren Aktivitäten auf heftige fernmündliche oder schriftliche Angriffe gegen Behörden beschränkten. Sie regte aber im Hinblick darauf, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung weitere Aktivitäten nicht ausgeschlossen werden könnten, die fachärztliche Begutachtung an.

Nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. S. begab sich die zuständige Richterin am AG unangekündigt am 3.11.2005 in Begleitung einer Mitarbeiterin der Betreuungsbehörde und von drei Polizeibeamten zwecks Anhörung des Betroffenen zur vorläufigen geschlossenen Unterbringung zu dessen Wohnung. Nachdem ein sachbezogenes Anhörungsgespräch nicht zustande kam, ordnete die Richterin die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 14.12.2005 einstweilen an und bestellte Rechtsanwältin R. zur Verfahrenspflegerin. Noch am gleichen Tage wurde der Beschluss auf Wunsch des Betroffenen dahingehend abgeändert, dass ein anderer Rechtsanwalt hierzu bestellt wurde. Die Unterbringung wurde anschließend im Bezirkskrankenhaus L. vollzogen. Gegen die Unterbringungsanordnung legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen sofortige Beschwerde ein.

Mit Beschl. v. 15.11.2005 wurde ein vorläufiger Betreuer mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge bestellt.

Am 16.11.2005 wurde der Betroffene auf Grund ärztlicher Anordnung entlassen. Das LG hat daraufhin am 1.12.2006 den Beschluss des AG über die Anordnung der Unterbringung aufgehoben.

Nach Eingang eines psychiatrischen Gutachtens vom 20.2.2006 hat das AG am 22.2.2006 den Beschluss über die vorläufige Betreuung aufgehoben und das Betreuungsverfahren beendet.

Am 21.4.2006 hat das LG die Erledigung des Beschwerdeverfahrens und die Rechtmäßigkeit des Unterbringungsbeschlusses festgestellt. Dagegen richtet sich die vom Betroffenen durch seinen Verfahrensbevollmächtigten eingelegte sofortige weitere Beschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des LG aufzuheben und die Rechtswidrigkeit der Unterbringung festzustellen.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig. Zwar hat sich nach Einlegung der sofortigen Erstbeschwerde die Hauptsache dadurch erledigt, dass der Betroffene aus der Unterbringung entlassen und der erstinstanzliche Beschluss über die Unterbringungsanordnung klarstellend aufgehoben wurde. Dennoch fehlt der sofortigen weiteren Beschwerde nicht das Rechtsschutzbedürfnis (BayObLGZ 2002, 304 [306]). Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tief greifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (BVerfG v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00, BVerfGE 104, 220 [232 f.] = NJW 2002, 2456; BayObLGZ 2002, 304 [306]; BayObLG, ...

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