Gericht kann auch ohne Gutachter gegen eine Betreuerbestellung entscheiden
Minderbegabter lässt sich per Vollmacht im Alltag unterstützen
Ein Junge wuchs nach einer frühkindlichen Hirnschädigung mit einer Minderbegabung auf. Im Erwachsenenalter erteilte er zunächst seinen zwei Geschwistern eine notarielle Vorsorgevollmacht. Knapp zwei Jahre später, im April 2020, geht er noch einmal zum Notar, um sie durch eine neue Vorsorge- und Generalvollmacht zugunsten zweier Frauen außerhalb der Familie zu ersetzen.
Geschwister verlangen Betreuung des Bruders
Das rief die Geschwister auf den Plan. Sie kamen auf die Idee, ihren Bruder – gegen dessen erklärten Willen - unter Betreuung zu stellen. Das machten aber weder die Betreuungsbehörde noch das Amts- oder Landgericht mit. Die Schwester klinkte sich aus, der Bruder verfolgte sein Ziel bis zum BGH weiter. Er rügte, dass zumindest mal ein Sachverständigengutachten hätte eingeholt werden müssen.
BGH bestätigt Vorinstanzen in der Entscheidung, die Betreuung abzulehnen
Ein kurzer Beschluss des BGH wies das Ansinnen des Bruder ab. Darin bestätigte das oberste Zivilgericht die Vorinstanzen. Es gab keine Anzeichen dafür, dass der – schon lange mit der geistigen Beeinträchtigung lebende - Bruder auf einmal geschäftsunfähig sein sollte.
Betreuungsbehörde, Notar und Amtsrichterin sahen keinen Betreuungsbedarf
Die Gerichte hatten in ihre Bewertung den Bericht einer Mitarbeiterin der Betreuungsbehörde und die Wahrnehmung des Notars einbezogen. Die Amtsrichterin hat den Betroffenen zudem selbst angehört. Alle waren sich bei ihren persönlichen Eindrücken einig, dass eine Betreuung nicht erforderlich ist und dass die Vollmachten genügen.
Freie Willensentscheidung des Bruders gegen eine Betreuung
Der minderbegabte Bruder hat deutlich gesagt, dass er keinen Betreuer möchte. Dass diese Entscheidung auf seinem freien Willen beruhte (§ 1896 Abs. 1a BGB), davon waren die angerufenen Instanzen überzeugt, weshalb der Antrag der Geschwister einheitlich abgelehnt wurde.
BGH klärte Frage nach Sachverständigengutachten
Das BGH verwies bezüglich des vom Bruder monierten Verzichts auf einen Sachverständigen auf den Gesetzestext.
Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden (§ 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG).
Schon der Wortlaut spreche gegen die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Eben nur dann, wenn das Verfahren positiv zum Ergebnis kommt, dass ein Betreuer zu bestellen oder ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden soll, ist ein Sachverständiger zu konsultieren.
Geschwister zeigten nichts auf, was Bruder nicht ohne Betreuer regeln kann
Der BGH hatten im Vortrag des beanstandenden Bruders keinerlei Anzeichen dafür gefunden, dass eine Betreuung – trotz der notariellen Vorsorgevollmacht – nötig ist. Neben fehlenden konkreten Hinweisen auf die Geschäftsunfähigkeit, deutete zudem nichts auf eine etwaige Unredlichkeit der neuen Bevollmächtigten hin.
(BGH, Beschluss v. 14.7.2021, XII ZB 135/21).
Vgl. zu dem Thema auch:
Mutter als Betreuerin entlassen – Verfassungsbeschwerde erfolgreich
Betreuung in der Übergangsphase zwischen altem und neuem Recht
Impfgegner wird als Berufsbetreuer entlassen und scheitert vor dem BVerfG
Hintergrund: Voraussetzungen der Betreuerbestellung
Grds. kann ein Betreuer nur für einen Volljährigen bestellt werden. Für Minderjährige kommt nur die Bestellung eines Vormunds (§§ 1773 ff), eines Pflegers (§§ 1909 ff) oder eines Beistands (§§ 1712 ff) in Betracht. Nur ausnahmsweise kann die Betreuung auch für Minderjährige vorsorglich für den Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit (§ 1908 2) angeordnet werden, wenn diese bereits das 17. Lebensjahr vollendet haben und zu erwarten ist, dass sie beim Eintritt der Volljährigkeit betreuungsbedürftig sind (§ 1908a).
Weitere Voraussetzung ist die Betreuungsbedürftigkeit, d. h. dass der Betroffene unter einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung leiden muss und aus diesem Grunde seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Der medizinische Befund ist grds. durch ein Sachverständigengutachten festzustellen (§ 280 ff FamFG, vgl Müther FamRZ 10, 857; BGH FamRZ 13, 287; zur Eignung des Sachverständigen vgl. BGH FamRZ 13, 1800; 14, 113), wovon nur in Ausnahmefällen (z. B. schon vorhandenes Gutachten der Pflegeversicherung (vgl. zu den weiteren Voraussetzungen Staud/Bienwald § 1896 Rz 42) Abstand genommen werden darf (BGH BtPrax 16, 148).
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