Leitsatz (amtlich)
1. § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG beschreibt lediglich die Voraussetzungen, unter denen das Verfahren abgegeben werden kann; hingegen beschränkt die Bestimmung nicht die Abgabe inhaltlich auf einen Teil der noch zu treffenden Entscheidungen. Wird das Verfahren bindend abgegeben, entscheidet über das noch nicht erledigte Rechtsmittel gegen eine zuvor ergangene Entscheidung des abgebenden AG das dem nun zuständigen AG übergeordnete LG (Anschluss an OLG Düsseldorf FGPrax 2007, 245; a.A. OLG Oldenburg InfAuslR 2007, 246).
2. Die gerichtliche Aufhebung einer vorangegangenen im Zusammenhang mit dem Erlass einer neuen Haftanordnung lässt das Interesse an einer gesonderten Feststellung, dass die vorangegangene Haft rechtswidrig war, nicht bereits wegen der ausdrücklichen Aufhebung der belastenden Maßnahme entfallen (ebenso OLG Celle vom 9.10.2008 - 22 W 45/08, bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang).
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; AufenthG § 62 Abs. 1, § 106 Abs. 2 S. 2; FGG § 19 Abs. 2
Gründe
Mit Beschluss vom 18.1.2009 hat das AG Landshut gegen den Betroffenen mit sofortiger Wirksamkeit Zurückschiebungshaft längstens auf die Dauer von zwölf Wochen angeordnet und diese auf den Haftgrund der unerlaubten Einreise gestützt (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Hiergegen hat der Betroffene noch zu Protokoll sofortige Beschwerde eingelegt.
Im Hinblick auf einen am 19.1.2009 eingegangenen Antrag der Ausländerbehörde, gegen den Betroffenen für längstens drei Monate auf der Grundlage von § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG Zurückschiebungshaft anzuordnen, hat das AG Landshut am 19.1.2009 das Verfahren gem. § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG an das AG München abgegeben, da in dessen Bezirk die Abschiebungshaft vollzogen werde. Das AG München hat das Verfahren am 21.1.2009 übernommen, mit für sofort wirksam erklärtem Beschluss vom 22.1.2009 dem Antrag der Ausländerbehörde entsprochen und den Beschluss des AG Landshut vom 18.1.2009 mit Erlass dieses Beschlusses aufgehoben.
Die noch zu Protokoll des AG Landshut am 18.1.2009 eingelegte (mit Fax des Verfahrensbevollmächtigten vom 22.1.2009 wiederholte) sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des AG Landshut hat das LG München I mit Beschluss vom 29.1.2009 als unzulässig verworfen, weil wegen der am 22.1.2009 erfolgten Aufhebung der Haftanordnung die Hauptsache erledigt sei. Im Tenor der Entscheidung ist (versehentlich) von einem Beschluss des AG München die Rede. Gegen den landgerichtlichen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig, jedoch im Ergebnis unbegründet. An einer abschließenden Entscheidung ist der Senat auch durch den Beschluss des OLG Oldenburg vom 19.3.2007 (13 W 14/07 = InfAuslR 2007, 246) nicht gehindert, wenngleich er von dessen Rechtsprechung zur Wirkung der Abgabeentscheidung nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abweicht. Der Senat würde aber auch bei Unzuständigkeit des Beschwerdegerichts das Rechtsmittel letzten Endes nicht für begründet erachten, so dass es auf die Abweichung nicht ankommt.
Insoweit wird an der in der Verfügung vom 29.4.2009 mitgeteilten Rechtsauffassung, dass der Mangel der landgerichtlichen Zuständigkeit auf die zulässige Rechtsbeschwerde hin zwangsläufig zur Aufhebung und Zurückverweisung führt, nicht mehr festgehalten.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist bereits deshalb zulässig, weil die Erstbeschwerde als unzulässig verworfen wurde; denn darin liegt die Rechtsbeeinträchtigung des Betroffenen i.S.v. § 20 Abs. 1 FGG (Bassenge/Roth FGG, 11. Aufl., § 27 Rz. 14).
2. Über die sofortige Beschwerde hat das zuständige LG entschieden.
a) Das LG München I war nach bindender und nicht offensichtlich willkürlicher Verfahrensabgabe durch das AG Landshut an das AG München gem. § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zuständiges Gericht zur Entscheidung über das noch vor der Abgabe eingelegte Rechtsmittel (§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 19 Abs. 2 FGG; Art. 4 Nr. 14 Gesetz über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern - GerOrgG - vom 25.4.1973 BayRS 300-2-2-J). Denn § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG beschreibt lediglich die Voraussetzungen, unter denen das Verfahren abgegeben werden kann; hingegen beschränkt die Bestimmung nicht die Abgabe inhaltlich auf einen Teil der noch zu treffenden Entscheidungen (OLG Düsseldorf FGPrax 2007, 245). Nach (uneingeschränkter) Abgabe "gemäß § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG" ist die Sache vielmehr so anzusehen, als läge ein von Anfang an beim AG München anhängig gewesenes Verfahren vor. Dementsprechend ist auch in anderen Bereichen der freiwilligen Gerichtsbarkeit allgemein anerkannt, dass nach dem durch bindende Abgabe herbeigeführten Wechsel der Zuständigkeit über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des abgebenden AG das dem nun zuständigen AG übergeordnete LG zu entscheiden hat (BayObLGZ 28, 426; BayObLGZ 1982, 261/266; 1985, 296; BayObLG
FamRZ 2004, 1899 - LS; Jansen/Briesemeis...