Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsnehmer, Deckungsablehnung, Allgemeine Rechtsschutzversicherungsbedingungen, Hinreichende Erfolgsaussicht, Bewilligungsreife, Berufungsverfahren, Rechtsschutzversicherer, Nichtzulassungsbeschwerde, Fehlende Erfolgsaussicht, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Höchstrichterliche Rechtsprechung, Deckungsschutz, Letzte mündliche Verhandlung, Rechtliches Interesse, Entscheidungsreife, Abschalteinrichtung, Prognoseentscheidung, Schriftsätze, Interessenwahrnehmung, Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen
Leitsatz (amtlich)
Bei der Prüfung der Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers einer Rechtsschutzversicherung hinreichende Erfolgsaussicht hat oder mutwillig ist, ist laut OLG München grundsätzlich auf den Zeitpunkt der sogenannten Bewilligungsreife abzustellen, das heißt auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung trifft. Es handele sich um eine Prognoseentscheidung, die richtig bleibe, wenn sie im Zeitpunkt der Entscheidungsreife zutreffend beantwortet worden sei. Sofern zu einem späteren Zeitpunkt eine höchstrichterliche Klärung der Rechtslage zu Lasten des Versicherungsnehmers erfolge, könne jedenfalls dann nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Rechtsschutz-Deckungsprozesses abgestellt werden, wenn diesem durch die fristgerechte Interessenwahrnehmung bereits Kosten entstanden seien.
Normenkette
ARB 2010 § 3a
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 16.03.2023; Aktenzeichen 9 O 1521/22 Ver) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16.03.2023, Az. 9 O 1521/22 Ver, abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem mit der Klägerpartei geschlossenen Rechtsschutzschutzversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer ... verpflichtet ist, für das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, Az.: 23 U 2654/21, Deckungsschutz zu gewähren.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der bei der Beklagten rechtsschutzversicherte (zu den vereinbarten Bedingungen vgl. Anlage KE 1) Kläger will Deckungsschutz für ein derzeit laufendes Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (Az.: 23 U 2654/21) gegen die M. AG (vormals Daimler) in einem sogenannten Dieselverfahren.
Im Hauptsacheverfahren will der Kläger ca. 30.000 EUR (Kaufpreis) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, hilfsweise Schadensersatz (vgl. Urteil LG Stuttgart K 3). Er hatte 2017 einen Mercedes mit dem Motor OM 651 als Gebrauchtwagen gekauft. Das Landgericht Stuttgart hat die Klage in erster Instanz abgewiesen.
Der Kläger hat trotz der Deckungsablehnung vom 17.06.2021 Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart eingelegt.
Das Landgericht München II hat die Klage auf Deckungsschutz für das Berufungsverfahren abgewiesen.
Von der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Zur Antragstellung wird auf die Schriftsätze vom 17.07.2023 und 20.04.2023 Bezug genommen, und zum Vortrag im Berufungsverfahren auf die dazu eingereichten Schriftsätze.
Der Senat hat Hinweise erteilt und dazu rechtliches Gehör gewährt.
In der mündlichen Verhandlung vom 02.07.2024 wurden die Parteivertreter nach ihren Äußerungen zur Sache darauf hingewiesen, dass der Ausgang des Verfahrens trotz der vorab gegebenen Hinweise des Senats offen ist und dass - auch wenn der Senat seine vorläufige Rechtsauffassung ändert - keine Überraschungsentscheidung vorliegt.
II. Die Berufung und die Klage haben Erfolg.
Zwar war die Deckungsablehnung der Beklagten unverzüglich und der Stichentscheid nicht bindend. Auf die Ausführungen im Beschluss vom 31.01.2024 wird Bezug genommen.
Die Beklagte hat die Gewährung von Rechtsschutz für das streitgegenständliche Berufungsverfahren (OLG Stuttgart 23 U 2654/21) allerdings zu Unrecht nach § 3a (1) a der vereinbarten Allgemeinen Rechtsschutz-Versicherungsbedingungen (...-ARB 2010, Stand 2013-01-01, § 3a, Anlage K 1) wegen fehlender Aussicht auf Erfolg abgelehnt.
Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Fahrzeugherstellerin unter dem Gesichtspunkt des Betrugs (§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB) oder der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§§ 826, 31 BGB) hatte im Streitfall zur Zeit der Ablehnung der Bewilligung (Bewilligungsreife) Aussicht auf Erfolg.
1. Nach herrschender - vom Senat geteilter - Ansicht ist bei der Prüfung der Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers hinreichende Erfolgsaussicht hat oder mutwillig ist, grundsätzlich auf den Zeitpunkt der sogenannten Bewilligungsreife abzustellen, das heißt auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung trifft. Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung, die richtig bleibt, wenn sie im Zeitpunkt der...